Das Wichtigste in Kürze:
- «Zero Waster» versuchen Abfall zu vermeiden und bewusst einzukaufen.
- In der Schweiz entstehen immer mehr Läden, die einem Zero-Waste-Lifestyle entgegen kommen.
- Tara Welschinger hat ihr Leben komplett umgekrempelt. Zusammen mit ihrem Freund und ihrer Katze produziert sie 17 Liter Abfall in sechs Wochen.
Vor 1.5 Jahren sind Sie von einem 7-Zimmer-Haus in eine 2-Zimmer-Wohnung gezogen, haben Kleider, Schuhe, Möbel aufs Minimum reduziert, ihr Auto verkauft. Wieso dieser Sinneswandel?
Tara Welschinger: Mit meinen Freund zusammen habe ich das Haus entrümpelt. Wir entschieden uns, vom Materiellen loszulassen, es war wie ein Sog. Und weil mir schon länger auffiel, in was für einer erschreckenden Wegwerfgesellschaft wir leben – da hab ich dazugehört – fing ich an, mich für die Zero-Waste-Bewegung zu interessieren.
Wie lange dauerte diese materielle Entschlackungskur?
Das war ein Prozess. Die härteste Zeit war am Anfang. Meine Kleider loszulassen, meine Schuhe – ich liebe Schuhe – mein Schminkzeug und mein Auto, das war wirklich hart. Nach drei, vier Monaten war es geschafft. Es war eine riesige Veränderung. Ich musste extrem in mich gehen, an mir arbeiten. Verzichten lernen.
Der Minimalismus wird derzeit ziemlich zelebriert. Wie weit würden sie gehen?
Meine persönliche Vision ist es, so reduziert leben zu können, dass ich jederzeit alles in ein Köfferchen packen und gehen könnte.
Es geht darum, das Hirn bei jedem Einkauf einzuschalten, zu hinterfragen und neugierig zu bleiben.
Ist Zero Waste nicht einfach eine weitere Mode, die vorbeiziehen wird?
Das Thema ist zu gross und dringlich als nur ein Trend zu sein. Zero Waste bedeutet Ressourcen in einen langlebigen Kreislauf zu bringen. Es geht um Mehrweg anstelle von Einmalnutzung. Es geht darum, das Hirn bei jedem Einkauf einzuschalten, zu hinterfragen und neugierig zu bleiben woher die Produkte stammen, woraus sie gemacht wurden.
Das wird Kreise ziehen. Ich merke das allein schon in meinem Umfeld. Die Menschen wollen wieder mehr verstehen, was sie konsumieren und sich nicht einfach zumüllen mit dem, was die Industrie ihnen andreht.
Bea Johnson, die Koryphäe der Zero-Waste-Bewegung aus den USA hat es zu ihrem Markenzeichen gemacht, dass sie mit ihrer Familie ein Einmachglas Abfall pro Jahr produziert. Wieweit sind sie in ihrer Abfallproduktion?
Zurzeit sind wir in unserem Zweipersonenhaushalt mit Katze bei einem 17 Liter Sack, den wir in sechs Wochen produzieren. Das Ziel ist natürlich weiterhin: reduzieren.
Was ist in so einem Sechs-Wochen-Sack drin?
Katzentrockenfutter gibt es nicht offen zu kaufen, der Katzentrockenfuttersack lässt sich nicht vermeiden. Die ganzen Papiere vom Käser und Metzger, Medikamentenverpackungen, Etiketten an Bioprodukten – es fällt immer noch einiges an.
Sie gehen nie ohne ihre Einkaufs-Behälter und ihr «Gebinde» aus dem Haus – woraus besteht das?
Jeden Tag dabei habe ich einen grossen Stoffsack und mehrere kleine Säckchen für Früchte, Gemüse, Pasta, Bohnen oder Reis. Und einen Keep-Cup für meinen Coffee-to-Go Konsum, meine Thermosflasche und ein Take-Away-Set mit Stäbchen und Löffel. Milchglasflasche, Eierschachtel, Metallboxen, Tupperwares für Käse und Fleisch an der Offentheke und Wachstücher statt Folie pack ich ein, wenn ich richtig einkaufe.
Für ihre Einkäufe gehen sie von Pontius zu Pilatus, stöbern Quartierläden auf an den unterschiedlichsten Orten der Stadt und gehen auf die Märkte – das ist sehr zeitintensiv und kostet. Diese Zeit und das Geld können sich die wenigsten leisten.
Es braucht Zeit, das ist so. Und Bioprodukte sind meistens teurer, ja. Aber es lohnt sich. Es ist eine entschleunigte Form von Einkaufen, eine bewusstere. Dies führt automatisch dazu, dass man weniger kauft – somit ist die Kostenfrage nicht so einfach zu beantworten. Und gesünder ist es sowieso.
Es gibt immer wieder Stirnrunzeln – aber auch viele positive Reaktionen.
Ecken sie auch an?
Es gibt immer wieder Stirnrunzeln – aber auch viele positive Reaktionen. Ich erlebe alles. Viele Leute denken Zero Waste will eine Gesamtumweltsproblemlösung sein. Das ist es nicht. Es ist eine Teillösung. Es bekämpft unser Abfallproblem.
Was vermissen sie am Meisten aus ihrem alten Leben?
Es gibt Momente wo ich das Shoppen vermisse. Zum Beispiel wenn ich in anderen Städten bin und tolle Läden sehe. Ich gehe dann einfach rein, fasse die Dinge an, die mir gefallen und gehe wieder raus. Aber es ist hart. Wir sind konfrontiert mit so vielen Sachen, die uns anschreien: Du willst mich haben! Dem muss man entgegenstehen. Wenn man das will.
Sind sie heute glücklicher als in ihrem «früheren» Leben?
Glücklicher weiss ich nicht. Ich bin zufriedener. Anders zufrieden. Ich habe mit Zero Waste etwas gefunden, wo ich extrem Lust habe meine Energie, mein Wissen einzusetzen und zu schauen, wie weit ich gehen kann, wie weit ich komme mit dieser Lebenseinstellung.
Das Gespräch führte Sibilla Semadeni.