Dass Russland kulturelle Schätze in der Ukraine zerstört, ist spätestens seit dem russischen Angriffskrieg immer wieder Thema. Etwas bizarr ist allerdings, worüber die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor Kurzem berichtete: Offenbar fälscht und überbaut Russland die antike Stadt Chersones auf der Krim.
Entstehen soll eine Art russisches «Disneyland» und ein neues Heiligtum. Und das, obschon Chersones zum Weltkulturerbe der Unesco gehört.
Schlechter Scherz wird wahr
Gross war die Freude noch, als die Ausgrabungsstätte der antiken Stadt Chersones 2013 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Zuvor hatten ukrainische Archäologinnen und Archäologen eine Überbauung entfernt, die noch aus der Zeit der Sowjetunion stammte.
Doch vor rund zehn Jahren besetzte Russland auch die Insel Krim. Schon damals gab der russische Präsident Wladimir Putin bekannt, dass er in der antiken Stadt Chersones eine Art «archäologischen Park» errichten will, erzählt der ukrainische Kunsthistoriker Konstantin Akinsha. Anfangs hielt er diese Ankündigung für einen schlechten Scherz.
Inzwischen habe Russland Chersones als heiligste Stätte erklärt – einen Ort, wo die russische Nation ihren geistigen Ursprung gehabt haben soll. «Daher kann man sich kaum vorstellen, dass Putin zustimmen wird, Gebiete an die Ukraine zurückzugeben», so Akinsha. «Wir sehen eine künstliche Konstruktion der russischen Ideologie.»
Bereits im 19. Jahrhundert hatte die russisch-orthodoxe Kirche Chersones als heilige Stätte anerkannt – als Ort, an dem der frühere Gross-Fürst Wladimir angeblich getauft wurde.
Geschichte wird gefakt
«Russlands Faszination mit Chersones erinnert mich an die Faszination, die Saddam Hussein für Babylon hatte», sagt Konstantin Akinsha. «Hussein wollte mit Babylon und der Geschichte des Irak seinen historischen Machtanspruch legitimieren.»
Mit der Überbauung in Chersones und dem archäologischen Park würde Präsident Putin richtige Geschichte durch Fake-Geschichte ersetzen. Davor hätten ukrainische Archäologinnen und Archäologen schon länger gewarnt. Ihre Stimmen wurden aber nicht gehört. Bis jetzt.
«Nachdem mein Artikel erschienen ist, haben andere Medien die Geschichte aufgegriffen – unter anderem auch eine liberale russische Zeitung. Nun scheinen alle aufmerksam zu werden», so Akinsha. Lange sei die Geschichte jedoch unbemerkt geblieben.
«Wir können etwas tun»
Wladimir Putin hat angekündigt, dass er den archäologischen Park noch Ende dieses Monats eröffnen will – oder wie Konstantin Akinsha es nennt: ein «russisches Disneyland» – mit Museen der Antike, des früheren oströmischen, byzantinischen Kaiserreichs, oder zum Christentum. Dazu noch ein Museum zu Neurussland und der Insel Krim.
Der Kunsthistoriker will die künstliche Geschichtskorrektur aber nicht stillschweigend hinnehmen: «Wir können etwas tun. Dafür ist es zuerst wichtig, offen und viel darüber zu sprechen, was passiert – und eine Zusammenarbeit mit Russland abzulehnen.»
Um sich zu widersetzen und zu engagieren, stellt Konstantin Akinshar unter anderem einen grossen Teil der Werke aus dem ukrainischen Nationalmuseum und dem Museum für Theater-, Musik und Filmkunst der Ukraine an Ausstellungen in ganz Europa aus. Einerseits, um die ukrainische Kultur bekannt zu machen – andererseits, um die Schätze seiner Kultur in Sicherheit zu bringen.