Arbeitstiere waren im 19. und 20. Jahrhundert allgegenwärtig. Ihre Vielfalt könne man sich gar nicht gross genug vorstellen, sagt der Historiker Juri Auderset, Dozent an der Universität Bern und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Archivs für Agrargeschichte.
Als erstes denkt man bei Arbeitstieren vielleicht an Pferde. Doch gab es weit mehr: «Auch Esel, Maultiere, Kühe, Stiere, Ochsen und natürlich auch Hunde haben gearbeitet», sagt Auderset.
Tiere mussten überall mit anpacken
Noch vielfältiger als die Tiere selbst waren die Aufgaben, die ihnen damals aufgetragen oder zugemutet wurden. Tiere arbeiteten im Gewerbe und in der Landwirtschaft, im Bergbau und im Militär, auf dem Land genauso wie in städtischen Räumen.
Juri Auderset: «Sie haben Fuhrwerke, Karren, Postkutschen, Brauerei-, Kericht- oder Leichenwagen gezogen.» Und entlang von Kanälen haben Tiere beispielsweise Schiffe oder Flosse «getreidelt» – also gezogen.
Sogar Hunde wurden zum Ziehen oder Transportieren eingesetzt, sagt der Historiker Hans-Ulrich Schiedt, der im Rahmen eines Nationalfondsprojekts eine Geschichte über Arbeitstiere schreibt: «Die sollten beispielsweise die Milchprodukte in die Städte bringen. Auch die Metzger hielten Hunde zur Belieferung ihrer Kundschaft.»
Bern war die Stadt der Zughunde
Hunde seien die Zugtiere der kleinen Leute, der Hausierer und Händler gewesen, berichtet Schiedt. Vor allem in den Städten: «Eine eigentliche Zughunde-Stadt war beispielsweise Bern. Aber auch für Zürich sind sehr viele Zughunde überliefert.»
Erst die Industrialisierung machte die Arbeitskraft von Tieren zum Teil überflüssig. Neu lieferten Dampfmaschinen die Energie, um Produktionsprozesse anzutreiben, und die Arbeit wurde um sie herum organisiert. Die Folge war eine enorme Effizienzsteigerung, bei der Arbeitstiere nicht mehr mithalten konnten.
In der Landwirtschaft jedoch waren Tiere noch lange nicht obsolet – im Gegenteil: «Die Dampfmaschine war untauglich auf den Feldern und Äckern der Bauern. Tiere waren da adaptiver und flexibler», erklärt Juri Auderset.
Tiere bewährten sich in Arbeitsbereichen, wo Motoren noch versagten. So zogen Kühe und Ochsen die Pflüge über die Äcker und Pferdefuhrwerke transportierten die Ernte von den Feldern zu den Bauern- oder Bahnhöfen. Diese Phase, in der Tiere und Maschinen in der Landwirtschaft koexistierten, setzte Anfang des 20. Jahrhunderts ein und dauerte Jahrzehnte.
Vom Mainstream zur Nische
Erst ab den 1940er- bis 1960er-Jahren setzte schliesslich eine Epochenschwelle ein und Tiere wurden auch in der Landwirtschaft immer stärker verdrängt und durch Traktoren ersetzt.
Heute spielen Arbeitstiere in der Schweiz höchstens in Nischen eine Rolle. Trotzdem werden sie da und dort als alternative Energieträger wiederentdeckt, sagt Juri Auderset: «Man kann sie zwar nicht 24 Stunden am Tag laufen lassen wie den Dampfmotor, aber sie sind nachhaltiger.»
Und wer über die Grenze blickt, stellt fest: In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern prägen Arbeitstiere noch heute den Alltag. So wie früher in der Schweiz.