Im Dezember zeigt SRF den historischen Zweiteiler «Gotthard»: Was für einen Film erwartet die Zuschauer?
Urs Egger: Eine sehr dramatische Geschichte. Wer den Film gesehen hat, wird mit anderen Augen durch den Gotthard fahren, wird wissen, welch' grosse Mühsal hinter der damaligen technischen Meisterleistung steht – welche Opfer der Tunnelbau forderte und mit welchen Problemen die Arbeiter kämpften.
Natürlich ist der Film auch emotional: zum Beispiel mit einer – nicht überlieferten – Liebesgeschichte und einigem an Action.
Ein historisches Drama, kombiniert mit Action und Herzschmerz – eine Herausforderung?
Uns hat geholfen, dass es viele historische Belege gibt, die an sich schon viel Drama beinhalten: der Arbeiterstreik etwa, Einstürze, die ausbrechende Tunnelkrankheit, die viele Opfer forderte und von der Gotthard-Gesellschaft verniedlicht wurde. Alles Dinge, die wirklich passiert sind. Ohne diese Tatsachen hätten wir den Film nicht machen können.
Also haben Sie sich zuerst in die Geschichtsbücher vertieft?
Geschichtsbücher haben vor allem zwei Historikerinnen gewälzt, die uns bei der Entwicklung des Drehbuchs beistanden. Sie haben unsere fiktive Geschichte immer wieder überprüft.
Aber eben: Viele der damaligen Ereignisse sind an sich schon filmreif, etwa der Tod des Tunnelbaumeisters Louis Favre. Dieser verstarb ja tatsächlich im Gotthardtunnel – kurz vor dem Durchstich.
Als Kulisse für das alte Göschenen diente das Bündner Dorf Valendas: Wie gross war der Aufwand, das Dorf auf alt zu trimmen?
Nicht unerheblich: Strassen haben wir mit Kies und Sand zugeschüttet und mit falschen Pflastersteinen versehen. Antennen, moderne Dächer, neue Häuser – das alles musste man mit Kulissen verkleiden oder später digital wegretouchieren. Das geht heute viel einfacher als noch vor 20 Jahren.
Damals wählte man die Drehorte anders aus: authentischer vom Look, dafür war die Logistik komplizierter. Heute entscheidet man sich meist für den logistisch einfacheren Weg und nutzt dann die Vorteile der digitalen Nachbearbeitung.
Wie reagierte die lokale Bevölkerung von Valendas?
Das war etwa so, wie wenn der Zirkus kommt. Wir waren zwei Wochen vor Ort, das führte natürlich zu gewissen Hindernissen – wir mussten etwa die Postauto-Route umleiten. Aber die Leute von Valendas standen oft staunend, ja fast verzaubert da.
Göschenen als Drehort war keine Option?
Wir hatten uns Göschenen natürlich angeschaut, aber es war ziemlich schnell klar: Das Dorf ist zu stark verbaut. Nicht zuletzt wäre Göschenen auch problematisch gewesen wegen der Eisenbahn, die ständig durchfährt.
Stichwort Eisenbahn – wie haben Sie die Tunnelszenen gedreht?
Dafür hatten wir zwei Drehorte: Die äussere Tunnelbaustelle haben wir ausserhalb von Prag in einem Steinbruch nachgebaut, inklusive Bürobaracken und Werkanlagen.
Das Tunnelinnere haben wir in einer riesigen Industriehalle nahe Köln rekonstruiert: einen 90 Meter langen Tunnelabschnitt, in dem wir alle Tunnelszenen drehen konnten – samt Spezialeffekten, Einstürzen und Sprengungen. Von allen historischen Filmen, die ich bisher gemacht habe, war «Gotthard» bei weitem der aufwändigste.
Vergangenen Juni wurde die Eröffnung des neuen Gotthard-Basistunnels gefeiert – ein weiteres «Jahrhundertbauwerk». Wird es in 100 Jahren wieder einen Gotthard-Film geben, einen über den neuen Tunnel?
Ich denke, das ist eher unwahrscheinlich. Ein solcher Film hätte jedenfalls nicht die dramatischen Ingredienzen, die der erste Tunnel hatte.
Das Gespräch führte Christian Schaub.