Sie trägt viele Namen, die meisten sind wenig schmeichelhaft: Pickmadam, Schweinsrose, Teufelskraut. Dabei dient das mit Brennhaaren bewaffnete Kraut auch als Raupennahrung, Entgiftungstee und soll gar spirituelle Kräfte besitzen. Die unterschätzte Allrounderin wird 2022 Heilpflanze des Jahres.
Die Nebenrollen der Brennnessel
Das meist unbeliebte Kraut hat Erstaunliches zu bieten. Ludwig Fischer widmete der Brennnessel und ihrer Kulturgeschichte vor einigen Jahren ein ganzes Büchlein.
Funde bezeugen, dass die Nessel schon vor 30'000 Jahren als Faserlieferantin diente. Und in unzähligen Texten, religiösen, aber auch in Sagen und Märchen ist die Rede von der Brennnessel. In Hans Christian Andersens Märchen «Die wilden Schwäne» muss eine Prinzessin unter Schmerzen aus Brennnesseln Hemden weben, um in Schwäne verzauberte Königssöhne zurück zu verwandeln.
In der Bibel sind Nesseln noch hauptsächlich Übel und Mühsal. Wer bestraft wird von einem Gottesgericht, dem sollen, wie in Jesaja 34:13 beschrieben, Nesseln und Disteln in seinen Schlössern wachsen.
Ein Kraut für die Nieren
Trotzdem: Als Heilpflanze ist die Brennnessel seit der Antike ein wichtiges Kraut. Der römische Naturkundler Plinius empfahl sie besonders bei Nierensteinen, aber auch bei Nasenbluten, Geschwüren, Gelenkschmerzen und Uterusleiden. Der griechische Arzt Hippokrates schrieb ihr eine blutreinigende Wirkung zu.
Im fast 1000 Jahre alten Werk der Nonne Hildegard von Bingen über die Ursachen und Behandlungen von Krankheiten nimmt die Brennnessel viel Platz ein. Die berühmte Heilkundlerin betonte die Vielseitigkeit der Urtica dioica. Denn jeder Teil der Brennnessel lässt sich verwenden: die Fasern, um Bast herzustellen, Blätter und Samen für Nahrung, Tees, Heilfasten und Kräuter.
Ein Pflänzlein im Kampf gegen Dämonen
Doch die Brennnessel ist nicht nur in der Naturheilkunde beliebt: Sie soll auch spirituelle Kräfte haben, Dämonen und böse Unholde abwehren. Zum Jahreswechsel wurden im Mittelalter Haus und Stall mit getrockneten Nesselblättern geräuchert.
Der Struwwelpeter-Autor Heinrich Hoffmann schliesslich schrieb für die verkannte Pflanze 1849 ein hymnisches Loblied in etwas holprigen Versen.
Eine verdiente Siegerin
Ein Wunderkraut also diese Brennnessel – für Mensch und Tier. Ohne sie könnte der Schmetterling «kleiner Fuchs» nicht existieren.
Sie vertreibt, getrocknet und verbrannt, zum Jahreswechsel böse Geister, entgiftet als Tee den Körper und schmeckt als Gemüse erst noch gut. Sie verdient also die Wahl zur Heilpflanze des nächsten Jahres.