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Joan Baez auf einem Ross, vor ihr ein Mädchen, in Montreux
Legende: Kurzentschlossen besteigt Joan Baez am 25. November 1973 ein Ross und reitet zum Konzert. Keystone

Autofreier Sonntag 1973 Als Joan Baez ins Konzerthaus reiten muss

25. November 1973: Joan Baez gibt zwei Konzerte in Montreux. Baez besteigt ein Ross und nimmt unterwegs noch ein Kind mit. Denn: Autos fahren an dem Tag keine. Es ist der erste autofreie Sonntag. Drei weitere werden folgen. Vier Ausnahmewochenenden.

  • Als Reaktion auf die Ölkrise findet in der Schweiz 1973 der erste von vier autofreien Sonntagen statt.
  • Die Bevölkerung bewegt sich im Zug fort und fährt Fahrrad auf der Autobahn.
  • Die Reaktionen sind positiv, die autofreien Sonntage sind vielen als prägendes Erlebnis in Erinnerung.
  • Der Energie-Ersparnis fällt geringer aus als erhofft, aber das Ereignis wird zum Auslöser eines wachsenden Umweltbewusstseins.

Der 25. November 1973. Kein Sonntag wie jeder andere. Still ist es. Leere Strassen. Busse haben Sondergenehmigung und sind voller als sonst. In Skigebieten steigt deren Auslastung um 500 Prozent. Polizei und Krankenwagen dürfen fahren. Und ein paar wenige mit Sondergenehmigung.

Archivperlen

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Etwas hängt in der Luft

Joan Baez besteigt in Montreux ein Ross und reitet zum Konzert. Das passt zu ihr. Baez lockt Tausende nach Montreux. Zwei Konzerte sind ausverkauft. «Alle, die per Mitfahrgelegenheit gekommen wären, sind auf den Zug umgestiegen.

Das Bahnbillet ist teurer als der Eintritt», berichtet die NZZ. Die ökologische Bewegung steht am Anfang. Aber es hängt was in der Luft: Die Zeiten werden grüner als auch schon.

Was war da los?

«Ölkrise» ist das meistgebrauchte Wort des Jahres 1973. Die «OPEC» ist die «Gemeinschaft der erdölfördernden Länder».

Die beschliesst, die Erdölförderung zu drosseln. Die Preise für Rohöl steigen um 70 Prozent und werden bis 1979 dramatisch weitersteigen.

Öl als Druckmittel

Die Drosselung hat einen politischen Hintergrund: Anfang Oktober bricht der arabisch-israelische Jom-Kippur-Krieg aus. Die arabischen Staaten in der OPEC versuchen durch die Drosselung, Druck auf jene Industriestaaten auszuüben, die Israel unterstützten.

In der Schweiz entschliesst man sich zu vier autofreien Sonntagen. Der 25. November ist der erste. Eine ganze industrielle Hemisphäre wurde lahmgelegt.

Mann mit Mädchen auf einer Brücke über einer leeren Schnellstrasse
Legende: «Was gibt's zu sehen?» – «Nichts!» Keystone

Mit dem Velo zum Picknick auf die Autobahn

Dann kommt der erste autofreie Sonntag. Familien ziehen los, mit dem Velo, fahren über Autobahnen oder gehen zu Fuss.

Picknick. Nicht in Gottes schöner Natur, sondern auf dem bleigetränkten Mittelstreifen.

Oder sie schauen von Brücken herab auf die gespenstische Leere der sonst so überfüllten Strassen.

Eine gute Idee

Unfälle gibt es an dem Tag so gut wie keine. Logisch. Im Kanton Zürich gibt's nur einen: Ein Arzt stösst auf dem Weg zur Arbeit im Spital mit einem Taxi mit Sondererlaubnis zusammen.

In Zügen und Bussen kommt man ins Gespräch. Es gibt nur ein Thema. Das verbindet schlagartig Millionen. Die Sendung «Antenne» ist an jenem Tag unterwegs und sendet einen Tag später «Impressionen». Kaum jemand schimpft. Im Gegenteil. Der Kommentator resümiert, das sei keine schlechte Idee – auch für Zeiten ohne Ölkrise.

Und heute?

Von heute aus gesehen fällt auf: Fragt man herum, wer sich noch an den autofreien Sonntag erinnert, dann ist die Resonanz gewaltig. Als Ereignis ist er in Erinnerung geblieben.

Von der realen Energieersparnis her gesehen haben die autofreien Sonntage nicht das erbracht, was sie sollten. Aber sie hatten auch nicht nur die Funktion, Benzin zu sparen.

Beiträge zum Thema

Ein Signal für die Zukunft

Sie waren ein Signal verschiedener Regierungen, um die Bevölkerungen zu sensibilisieren, wie ernst die Lage war.

«Die beste Energie ist die, die wir sparen.» Der Slogan entsteht in jenen Tagen. Von heute aus gesehen sind wir weiter, als das Publikum von Joan Baez sich hat erträumen lassen.

Erneuerbare Energien sind heute Mainstream-Thema. Sie haben längst die Klientel der Alpaccapullover-Träger in den 1970er-Jahren verlassen.

Ökologisches Bewusstsein gehört fast zum guten Ton. Quer durch die Einkommensklassen.

Öko für alle

Schweizer Dächer verwandeln sich seit Jahren in Solarzellen. Energiesparlampen hat man. Der Zweitausend-Watt-Haushalt ist das sportive Gebot der Stunde. Wiederverwertbare Kaffeebecher sind gerade gross im Kommen.

«Bio» ist damals noch ein Begriff gleichbedeutend mit einem Parteibuch – angeboten in kleinen Geschäften mit viel geöltem Holz. Heute: Standartware in jedem Supermarkt.

Das liegt nicht alles an der Ölkrise, aber sie ist ein Faktor in der kollektiven Erinnerung einer Generation. Das Umdenken beginnt in jener Zeit. Vieles ist auch heute noch nicht ideal, aber einen Schritt weiter sind wir allemal.

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