Zürich, Spiegelgasse. Es ist der 5. Februar 1916. Die Dada-Bewegung wird in Zürich gegründet. Hans Arp beschrieb die Stimmung so: «Wir vollführen einen Höllenlärm. Das Publikum um uns schreit, lacht und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wir antworten darauf mit Liebesseufzern, Rülpsen und Gedichten.»
50 Jahre später, anlässlich des 50. Geburtstages bringt das Schweizer Fernsehen einen 15-minütigen Beitrag «Alles ist Dada!». Der Dadaismus habe Impulse gesetzt, die bis in die Gegenwart nachwirken, heisst es darin. Grosse Namen treten auf: Walter Mehring, Hans Richter, Hans Arp.
Der Geist der Gründer wirke nach. Ihre künstlerische Positionierung gegen die «Überschätzung der pervertierten Vernunft», die Europa in den 1. Weltkrieg gestürzt hatte. Und dieser «pervertierten Vernunft» wollte Dada etwas entgegensetzen: Kleine und grosse Aktionen, politische, unpolitische, künstlerische. Dada wollte Grenzen sprengen, Sehgewohnheiten aufbrechen, masslos und vermessen die Genres und Kunstgattungen sprengen. Dada war und ist Grenzüberschreitung. Dada ist Brückenbau. Und Dada operierte (auch) mit einer Agent-Provocateur-Technik: Indem Dada den Unsinn als Mittel einführte, konterkarierte Dada den ernstgemeinten alltäglichen Irrsinn und machte ihn als solches erkennbar. Anders gesagt: Dada hat den Irrsinn, den Wahnsinn der Welt zur Klarheit entstellt. Auch 50 Jahre nach der Geburt von Dada an Zürichs Spiegelgasse ist das noch so und das Archiv hält einiges bereit, was zu sehen und zu hören sich lohnt.
Hier kommen fünf Fundstücke und ein Rätsel ganz zum Schluss – samt einem sehr ausgefallenen Preis:
1. Alles ist Dada ( Kontakt, 3.2.1966)
Ein Beitrag anlässlich des 50. Geburtstags der Dada-Bewegung – beginnend an der Spiegelgasse. Mit viel prominentem Personal: Walter Mehring, Hans Arp, Hans Richter. Höhepunkte des Beitrags sind sicherlich das Gespräch zwischen Arp und Richter über den «geformten Zufall» als stilbildendes Element und Richters Film «Ghosts before Breakfast».2. Dada wird 50 (Antenne, 7.2.1966)
Die Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag. Die Ansprache des Stapi wird mit einer Guggen-Musik niedergespielt. Zu Feierlichkeiten sollen sich alle auf der Insel Ufenau einfinden. Da geht aber einfach keiner hin sondern alle treffen sich im Café Odéon. Und mittendrin sitzt Hugo Lötscher und näht ein Trambillet an einen Einzahlungsschein. Dada 1966.3. Strassenumfrage: «Was ist Dada?» (Rendez-vous, 12.2.1966)
Rendez-vous macht eine nächtliche Umfrage in Zürichs Altstadtgassen: Was ist Dada? Eine Befragte sagt: «Ich bi nöd vo da!»4. 50 Jahre Dada (Perspektiven, 4.2.1966)
Eine sensationelle Sendung über die Entstehung der Dada-Bewegung. Die historische Kontextualisierung gleich zu Beginn ist bestes Dada-Streiflicht-Feuerwerk. Muss man gehört haben. Dazu Fakten, Dokumente, Zitate, Lesungen und viel Anekdotisches: Wie etwa Hugo Ball damals am 1. Februar 1916 zum Wirt der Meierei, Herrn Ephraim, geht, und ihm ein Geschäft vorschlägt. Ball wird mit einem literarischen Kabarett den Getränke- und Schnellverpflegungsumsatz des Herrn Ephraim in die Höhe treiben. Herr Ephraim steigt ein. Die Presse folgt. Dada startet.
5. Die Feierlichkeiten zu «50 Jahre Dada» (Perspektiven, 11.2.1966)
Eine Sendung mit raren O-Tönen der Feierlichkeiten vor 50 Jahren in Zürich und mit viel unfreiwilligem Dadaismus. Wie etwa die Geschichte von dem jungen nachgeborenen Dada-Aktivisten, der mit Megaphon bewaffnet durchs Niederdorf zieht und Dada-Parolen zum Besten gibt. Ein Kriminalbeamter hält ihn auf und erklärt, das sei nur von 16.00 bis 16.30 Uhr an der Spiegelgasse erlaubt. Umwerfend komisch: Dada trifft auf Seldwyla!
Und ganz zum Schluss – wie erwähnt – noch dies:
Das Rätsel
Ein «Vorläufer der Dadaisten», verzweifelt über den Irrsinn seiner Zeit, hat uns etwas hinterlassen. Das soll sich hervorragend als universelles Motto eignen. Der Zufallsgenerator hat die Buchstaben einmal durchgeschüttelt. Wer kann sie wieder in die «richtige» Reihenfolge bringen und findet heraus, von wem das Zitat stammt?
thätet rhi blah urn os live sla otjez, narednie zu zürnest, Ceuh zu lahernet, neagt: küclgilch chno räwt hir nud rief!
Das Rätsel ist gelöst
Das Zitat muss richtig heissen:
Hättet ihr halb nur so viel als jetzo, einander zu stürzen,
euch zu erhalten, getan: glücklich noch wärt ihr und frei !
Der Satz stammt von Heinrich von Kleist.
Die Glücksfee hat aus allen richtigen Einsendungen die Gewinnerin gezogen: Es ist Stefanie Mairhuber. Gratulation!
Und allen, die diesmal leer ausgingen, danke ich für die Teilnahme und sage: «Es wird bestimmt ein nächstes Mal geben.»
Herzlich Ihr Archivar