1971 ziehen 17 Menschen in die Zürcher Heinrichstrasse 109. Sie suchen nicht nur billigen Wohnraum, sondern alternative Formen des Zusammenlebens. 46 Jahre später ist diese Generation im Ruhestand. Wie lebt diese Generation heute? Drängen die alle in Alters-WGs?
Und heute?
Klaus R. Schroeter ist Professor für Soziale Arbeit und Alter an der FHNW in Olten. Er forscht seit Mitte der 80er-Jahre zum Thema Alter und ist derzeit Programmleiter einer hochschulübergreifenden Initiative der FHNW, die sich umfassend mit dem Thema Altern beschäftigt.
Das Alter wird aktiv gemacht
Nach 30 Jahren Forschungstätigkeit kann er einiges an Fehleinschätzungen, Moden, Diskursen beschreiben: In den 60er-, 70er- und 80er-Jahren wurde Alter zunächst als individuelles, dann als soziales und gesellschaftliches «Problem» begriffen. Das Schlagwort «Übergangsregelung» kam auf.
Man müsse den «Pensionsschock» vom Berufsleben in den Ruhestand abfedern. Damit hätten sich alle beschäftigt: Firmen, Kirchen, Gewerkschaften, die Politik. Die Rentner hingegen «haben sich zumeist gefreut, aus dem engen Korsett des beruflichen Alltags zu entfliehen.» Schroeter lacht. Das treffe nicht auf alle, aber doch auf viele zu.
Der Rentner als Ressource
Das Credo des «aktiven Alterns» wurde ausgerufen. Das reiche von der «Fitness im Alter» bis zu ehrenamtlichen Tätigkeiten.
«Das aktive Einbringen wurde quasi zur gesellschaftlichen Pflicht erklärt. Dahinter schwirrt der Diskurs des aktiven Alterns als Gegenbewegung zum defizitären. Versprochen wird da eine ganz tolle Zeit, eine ‹späte Freiheit› in der zweiten Lebenshälfte.»
Alter wird zu etwas, das es erfolgreich zu gestalten gilt: Die Alten werden zu «Selbst-Unternehmern», die selbstverantwortlich in ihre eigenen Lebensprojekte investieren. Arbeiten im Alter wurde angepriesen, eine Volkswirtschaft könne von den Erfahrungen Älterer profitieren, hiess es. Rentner als Ressource.
Veränderte Lebensformen
Lebensformen im Alter haben sich verändert. Haushaltsgrössen haben sich verändert, Partnerschaften wechselten, Patchworkfamilien sind verbreitet. Man lebt heute anders – zusammen.
«Das familiäre Zusammenleben älterer Menschen mit ihren erwachsenen Kindern nimmt ab», sagt Schroeter. Zu beobachten sei, dass Kinder heute ausziehen, aber doch in der Nähe zu den Eltern bleiben. «Etwas, das man schon in den 60er-Jahren als ‹Intimität auf Abstand› bezeichnet hat.» Eltern und Kinder begegneten sich dabei «zeitweise sehr intensiv, wohnen aber getrennt.»
Der Quatsch mit dem Krieg der Generationen
Das sei für ihn, Schroeter, auch der Beweis, dass der aktuelle Diskurs «gesellschaftliche Entwicklungen zerstörten das soziale Gefüge» einfach nicht zutreffe: «Das Gerede vom Krieg der Generationen ist substanzloses Gewäsch. Zu beobachten ist vielmehr eine recht starke soziale Bindungskraft zwischen den Generationen. Noch nie konnten Grosseltern so viele Jahre Zeit mit ihren Enkeln verbringen. Die wechselseitigen Unterstützungen sind enorm.»
Die Wohnformen im Alter haben sich verändert
Aber vieles sei anders gekommen als vermutet. Vor Jahren habe es geheissen: «Wehe, wenn die 68er in Rente gehen.» Die Annahme, alle WG-Erprobten würden gerne in Alters-WGs wohnen, war ein Trugschluss. «Manche 68er sind erstaunlich bürgerlich geworden», sagt Schroeter.
Heute gebe es viele verschiedene Wohnmodelle: Betreutes Wohnen gebe es, sagt Schroeter, und nur schon da sei es ein weites Feld, was «betreut» konkret meine: «Rundumbetreuung oder sitzt im Haus unten einer an der Rezeption?» Alten-WGs gebe es, aber auch da gebe es Variationen wie etwa individuelle Appartements kombiniert mit Gemeinschaftsräumen.
Das Alter wurde weggeschminkt
Die Frage nach der schönen und bezahlbaren Wohnung ist für alle ein Thema, auch für Ältere. Speziell bei ihnen ist: Sie ziehen ungern aus manchmal viel zu grossen Wohnungen aus, weil ein Umzug bedeutet, das vertraute soziale Netz zu verlieren. Einsamkeit ist das Tabuthema im Hintergrund.