Ein blutjunger Basquiat, der stotternd auf Interviewfragen antwortet, handkolorierte Tanzfilme von 1896 oder Salvador Dalí, der mit seiner grotesken Stimme einen Text vorträgt: Das Ubuweb ist eine virtuelle Wundertüte für jegliche Art von nicht-kommerzieller, speicherbarer Kunst.
Ein Tummelplatz der Avantgarde
Mittlerweile sind es 7500 Kunstschaffende, die dort mit seltenen Filmen, ganzen Büchern, MP3-Sammlungen, Radiosendungen, Soundcollagen, Aufnahmen von Tanz- oder Theateraufführungen, Dokfilmen und Interviews vertreten sind.
Den gemeinsamen Nenner dieser Dokumente umschreibt der US-amerikanische Ubuweb-Gründer und Künstler Kenneth Goldsmith mit «Avantgarde». Auch der Eintrag ins Ubuweb ist für Goldsmith ein künstlerischer Akt: «Er gleicht der Arbeit, wie ein Künstler oder Dichter sich das Material ansieht. Es ist ein intuitiver und irrationaler Akt.»
Er habe keine Ahnung, was er überhaupt mache – eine Aussage, die man angesichts des nun seit 25 Jahren bestehenden Kunstarchivs nur als Understatement verstehen kann.
Das Gegenteil von Konsumdenken
Die Website kommt auffallend bescheiden daher, mit ihrer schlichten Aufmachung verkauft sie sich beinahe unter Wert.
Genau das ist eine der Besonderheiten von Ubuweb: Effekthascherei sucht man hier vergeblich. Das ganze Konzept der Seite ist das Gegenteil vom Konsumdenken. Besucherinnen und Besucher des Ubuwebs werden nicht getrackt, man kann keine Cookies akzeptieren, es gibt keine Werbung – und es gibt keinen Button für Geldspenden.
«Money: we don’t touch it»
Würden Kenneth Goldsmith und sein kleines Ubuweb-Team nicht gerne die neuen Webtools nutzen, um damit mehr Menschen auf ihre Seite zu locken? Goldsmiths Antwort ist eindeutig: «Nein! Es ist uns egal, ob wir einen oder Millionen von User haben.» Das Ubuweb basiere seit 25 Jahren auf einer geldlosen Ökonomie und sei eine Utopie, sagt Goldsmith.
Das Ubuweb-Motto lautet denn auch: «Money: we don’t take it, we don’t pay it, we don’t touch it» – «Wir nehmen kein Geld, bezahlen keins und fassen es nicht an». Server und Bandbreite werden von verschiedenen Universitäten gespendet, die Werkauswahl trifft ein kleines Team von Freiwilligen – Algorithmen sind keine im Spiel.
Kein Copyright, kein Kapital
Ebenso ungewöhnlich ist der lockere Umgang mit dem Urheberrecht: Die Werke werden oft ohne die Genehmigung der Künstlerinnen und Künstler publiziert – wobei käufliche Werke gar nicht erst aufs Ubuweb geladen werden. Die meisten Kunstschaffenden scheint es auch nicht zu stören, ungefragt auf der Website vertreten zu sein – eher das Gegenteil ist der Fall.
Durch diesen offenen, antikapitalistischen Umgang mit Daten steht das Ubuweb auch für eine Idee, die das Internet am Anfang geprägt hat, die aber mit der Zeit durch kommerzielle Firmen zu grossen Teilen verschwunden ist.
Insofern sind nicht nur die Werke im Archiv historisch relevant, auch die ganze Website ist ein Relikt aus einer Zeit, als das Internet noch eine Utopie war.