Im Frühling 1937 arbeitete Picasso an einem Auftrag der spanischen Regierung. Für den Pavillon der Weltausstellung in Paris sollte er ein grosses Bild malen. «Maler und Modell» war das Sujet. Picasso verwarf es, als er von der Bombardierung Gernikas erfuhr.
Eine Stadt – zu Grunde gerichtet
Am 26. April 1937 zerstörten die Bomben italienischer und vor allem deutscher Kampfflieger 80 Prozent der baskischen Stadt Gernika.
Bis zu 40 Tonnen Brandbomben, Sprengbomben, Splitterbomben wurden abgeworfen – brachten Tod, Brand und Zerstörung. Hunderte Zivilisten wurden getötet. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute unbekannt: Schätzungen reichen von 200 bis zu über 1600 Toten.
Die Bombardierung ermöglichte General Franco und den nationalistischen Putschisten die Einnahme des umkämpften Gernika – ein weiterer Sieg gegen die demokratische gewählte spanische Regierung der Zweiten Republik.
Gigantisches Abbild des Leides
Das Leid der bombardierten Bevölkerung wurde Picassos neues Sujet für das Riesenbild für die Weltausstellung: Fast acht Meter lang und 3.5 Meter hoch – das gigantische Mass gab der spanische Pavillon vor.
In Grau, Weiss und Schwarz staffelte Picasso seine teils kubistischen Figuren im langen Quer-Format: in der Mitte das sterbende Pferd mit dem weit aufgerissenen Maul und der durchbohrten Zunge, links eine Mutter mit totem Kind, rechts Flammen und Flüchtende. Alle mit weit aufgerissenen Augen und Mündern, die Köpfe verdreht. Zerstörung allenthalben, aber abstrakt dargestellt.
Unkonkreter Schrecken
Das Bild sehe aus, als habe es eine defekte Dampfwalze plattgewalzt, schrieb der berühmte US-Kritiker Clement Greenberg. Tatsächlich ist Picassos Bild wohl eine Anklage gegen den Krieg, aber keine naturalistische Dokumentation seiner Schrecken.
Anders als Goya, der in seinen berühmten Stichen der «Desastres de la Guerra» mit schrecklicher Genauigkeit zeigte, was die napoleonischen Soldaten der spanischen Bevölkerung antaten, ist Picassos Bild seltsam überzeitlich und unkonkret.
Das gigantische Querformat sorgt ausserdem dafür, dass sich das Bild kaum als Foto reproduzieren lässt. Das Bild muss mit eigenen Augen gesehen werden, um seine Wirkung zu entfalten. Das weiss, wer je davor stand.
Ein propagandistisches Bild
Die spanische Regierung sah dieses Bild 1937 aber dennoch als Propaganda an. Sie liess verlauten: ein Wandbild von Picasso zähle so viel wie ein Sieg an der Front.
Picassos «Guernica» sollte für die republikanische Seite im Bürgerkrieg werben und ging nach dem Ende der Weltausstellung – mit einer Fotodokumentation über die Opfer des spanischen Bürgerkriegs – auf Tournee: nach Oslo, Stockholm, London und New York. Dort blieb das Riesengemälde dann auch bis 1981 – Picasso hatte es einer zukünftigen spanischen Republik vermacht.
Erst nach dem Tod Francos und der Wiedereinrichtung einer Demokratie in Spanien reiste Picassos «Guernica» nach Madrid. Dort ist es bis heute zu sehen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 26.04.2017