Das Wichtigste in Kürze
- Die Schau in Lausanne zeigt über 40 Werke von Ai Weiwei, auch die sehr berühmten wie zum Beispiel «Sunflower Seeds» – 10 Millionen Sonnenblumenkerne aus Porzellan.
- Die Ausstellung zeigt Handwerkskunst als Kulturtechnik, die knifflige Probleme löst und das Beste der Menschheit in sich trägt.
- Ai Weiweis Werke finden sich auch wieder in den Sammlungen des archäologischen, geologischen und zoologischen Museums im Palais de Rumine: Sie haben sich dort in die unterschiedlichsten Vitrinen geschlichen.
Wer kennt ihn nicht? Der chinesische Künstler und Dissident Ai Weiwei kämpft seit Jahrzehnten für die Meinungsfreiheit und gegen das chinesische Regime. Und dieser Kampf hat ihn bekannt gemacht.
Seine Popularität setzte Ai Weiwei in den letzten Jahren ein, um auf die Situation von Geflüchteten hinzuweisen: mit plakativen Kunstwerken oder dem Dokumentarfilm «human flow». Der wurde anlässlich der Premiere an den Filmfestspielen von Venedig allerdings als ziemlich selbstverliebt kritisiert. Ai Weiwei ästhetisiere Leid, so der Vorwurf.
Mehr als nur Betroffenheit
In Lausanne verteidigt sich der Künstler auf der Presskonferenz zu seiner Ausstellung «D’ailleurs c’est toujours les autres» im Palais de Rumine: Er könne nicht anders. Zu tragisch seien die Schicksale der Geflüchteten, die er getroffen habe.
Die persönliche Betroffenheit steht am Anfang vieler seiner Werke, das wird in der grossen Überblicksausstellung in Lausanne deutlich. Aber auch, dass der Künstler in früheren Arbeiten nicht bei der blossen Betroffenheit stehen blieb.
Kuratiert hat diese Ausstellung Bernhard Fibicher, der bereits 2004 die erste Einzelausstellung von Ai Weiwei in Bern zeigte, als Abschiedsgeschenk. Denn danach zieht das «Musée cantonal des Beaux-Arts» um – ins neue Lausanner Museumsquartier, das 2019 eröffnet werden soll.
10 Millionen Sonnenblumenkerne
Diese Abschiedsschau zeigt über 40 Werke von Ai Weiwei, auch die sehr berühmten: In den Räumen des Lausanner Kunstmuseums liegen 10 Millionen Sonnenblumenkerne aus Porzellan, ein Bruchteil der Kerne, die der Künstler 2010 in der Tate Modern in London zeigte.
Auch wenn sie alle im Grunde gleich aussehen, jeder Kern ist einzigartig, in der chinesischen Tradition der Porzellanmalerei von Hand bemalt.
Die «Sunflower Seeds» sind Sinnbild der vielen Individuen, die Gesellschaft ausmachen. Oder: Protest gegen die Gleichmacherei der chinesischen Kulturrevolution, welche Künstler, Intellektuelle, Dichter wie Ai Weiweis Vater verfolgte und ermordete. Und: auch die genuin chinesischen Kulturtechniken in den Porzellanmanufakturen und Schreinereien unterband.
Handwerkskunst als Kulturtechnik
Mit seiner Kunst belebt Ai Weiwei immer wieder diese Kulturtechniken und singt ein Hohelied auf sie. Er beschäftigt Spezialisten und stellt ihnen knifflige Aufgaben: beispielsweise täuschend echt aussehende Handschellen aus nur einem Stück Jade herzustellen. Handwerkskunst als Kulturtechnik, die knifflige Probleme löst und das Beste der Menschheit in sich trägt.
Folgerichtig sagt der Künstler, er sehe sich weniger als Künstler, sondern als jemand, der mit aller Art von Problemen umgehe: mit politischen, sozialen oder eben künstlerischen Problemen. Entscheidend sei der Umgang mit ihnen.
Das Museum als Enzyklopädie
Der Reiz der Ausstellung in Lausanne ist, dass sie einen Kontext schafft für diese Kunstwerke: mit der Geschichte menschlicher Kulturtechniken und Wissenschaften. Denn die Ausstellung beschränkt sich nicht nur auf das Kunstmuseum, sondern greift über auf die Sammlungen des archäologischen, geologischen und zoologischen Museums, die sich alle in einem Palast, dem Palais de Rumine im Zentrum Lausannes, befinden.
Ai Weiweis Werke haben sich in die unterschiedlichsten Vitrinen geschlichen – und liegen beispielsweise neben neolithischen Steinkeilen, also uralten Zeugnissen menschlicher Problemlösungen. Das überzeugt.
Nicht zu übersehen ist aber, dass die neueren Arbeiten, die die Situation von Geflüchteten aufnehmen, überaus plakativ sind. Ai Weiwei schreckt nicht davor zurück, das Bild des am Strand angespülten, toten syrischen Jungen als Motiv für einen Porzellanteller zu verwenden. Der Zweck heiligt die Mittel. Und die Frage steht im Raum: Wem dient's?
Sendung: SRF 2 Kultur, 22.9.2017, Kultur kompakt, 17.08 Uhr.