Ein Schiff brennt. Annemarie Schwarzenbach nähert sich ihm auf einer Schiffsreise. «Es wurde beinahe fünf Uhr und begann schon zu dunkeln, als wir endlich vor uns den brennenden Orazio auftauchen sahen», schreibt sie in der National-Zeitung am 26. Januar 1940. «Wir fragten uns, wie man nachts und bei diesem Seegang die Boote würde absetzen können.»
Dazu ein Foto, geschossen aus luftiger Höhe eines Schiffes. Es lenkt den Blick zwischen Schiffseilen hindurch auf ein Rettungsboot, in dem etliche Besatzungsmitglieder sitzen. Und runhderum das Meer, Stürmisch aufgepeitscht.
Gutes Auge
Annemarie Schwarzenbachs Blick ist konzentriert und durchaus geleitet von einem Sinn für Ästhetik. Nicht nur auf diesem Foto, sondern auch auf vielen anderen beweist sie einen Sinn für Konzeption und Dramatik.
Sie habe sich jedoch nicht als Fotografin, sondern als Schriftstellerin verstanden, sagt der Ausstellungskurator Martin Waldmeier. «Das war ihre Ambition, das war ihre Mission.»
Die Fotografien spielten allerdings eine entscheidende Rolle in Bezug auf ihre Texte, so Waldmeier «Annemarie Schwarzenbach hat ihre Texte in einer Zeit verfasst, in der man erst gerade anfing, in der Schweiz mit Fotografien Geschichten zu erzählen.»
Wie alles anfängt
Schweizer Magazine, vornehmlich die Zürcher Illustrierte, drucken ihre Fotos. Ihre ersten Bilder entstehen 1932 auf einer Reise nach Spanien. Annemarie Schwarzenbach reist gemeinsam mit der deutschen Fotografin Marianne Breslauer. Diese ist Jüdin und stösst in Nazi-Deutschland auf grosse Schwierigkeiten.
Als sie von der Reise zurückkommt, kann Marianne Breslauer die Fotos nicht mehr unter ihrem Namen veröffentlichen, weil die deutsche Presse gleichgeschaltet und arisiert wurde.
Marianne Breslauer kann Annemarie Schwarzenbach nicht mehr begleiten. Also greift die Journalistin selber zur Kamera: eine Rollei Flex, eine Mittelformat-Kamera.
Position beziehen
Es sind unruhige Zeiten. Europa steuert auf den Zweiten Weltkrieg zu. Die Weltwirtschaftskrise führt zu Massenarbeitslosigkeit.
In der Schweiz ist die Zeit der geistigen Landesverteidigung. Annemarie Schwarzenbach unternimmt Reisen, um aus der Enge auszubrechen. Die Kamera gibt ihr die Möglichkeit, sich zu positionieren.
«Das Fotografieren war für Schwarzenbach ein Versuch, selbst politisch tätig zu sein. Über ihre Texte und ihre Bilder für die Probleme ihrer Zeit ein Bewusstsein zu schaffen», sagt Kurator Martin Waldmeier.
Also hält Annemarie Schwarzenbach mit ihrer Kamera Arbeitssuchende in Cincinnati fest oder Jugendliche vor einem Bekleidungsgeschäft in Alabama. Auch der Industrialisierung begegnet Schwarzenbach neugierig und kritisch. Sie zeigt eine gigantische Erzgrube in Schweden oder brache Kohlefelder in Pennsylvania.
Grosse Begabung
Nebst einigen wenigen kleinformatigen Originalen sind meist nur die Negative der Fotografien erhalten. Das Zentrum Paul Klee hat grossformatige Abzüge anfertigen lassen. Diese stellte es in den Kontext der Reportagen.
Am berührendsten in der Ausstellung sind ihre vielen Porträts, die sie von Bekannten und Unbekannten gemacht hat. Die Menschen schauen die Fotografin meist direkt an. Unverstellt, als hielten sie nur kurz in ihrer Beschäftigung inne.
Dass Annemarie Schwarzenbach es schafft, die Menschen auf solche Weise mit der Kamera einzufangen, führt eindrücklich vor Augen, wie begabt sie als Fotografin war.