Es ist eine Ausstellung voller Spott, Protest und Verschwörungen, die sogar vor der heiligen Schrift nicht halt macht. Ein Ausstellungsstück ist eine englische Bibel aus dem Jahr 1631. Denn: Dort liest man Skandalöses: «Du sollst ehebrechen!»
Hat hier ein Drucker geschlampt? Oder handelt es sich um einen heimlichen Sabotageakt? Nur eines ist bekannt: Der Verleger wurde damals zu einer saftigen Geldbusse verurteilt.
Eindeutig ist der Fall bei einem weiteren Objekt, einem Salzstreuer aus dem Jahr 1577. Mit ihm hatte ein Londoner Kunsthandwerker sein Leben riskiert. Denn die in dem Tafelsilber verarbeiteten Rubine und Kristalle sind recycelte katholische Reliquien, deren Gebrauch zu Reformationszeiten strengstens untersagt war.
Diese und rund 100 weitere Exponate, aus fast allen Epochen und Erdteilen, präsentiert die Ausstellung «I Object» («Ich, Objekt» / «Ich bin dagegen») in Londons grosser Schatzkammer der Kulturen. Sie sind Belege für konspirativ-subversive, witzig-kreative Affronts gegen die Obrigkeit.
Leise Töne des Widerstands
Kuratiert hat die Schau Ian Hislop. Der Historiker, Journalist und Herausgeber des Satiremagazins «Private Eye» ist Englands prominentester Fachmann für Spott und Provokation.
Der Akzent liegt nicht auf lärmender Agitation und Revolte, sondern auf den leisen Tönen des Dissens. Auch stiller Protest, Satire und Kunsthandwerk, findet Hislop, sind wirksame Instrumente des Widerstands.
Münzen, Regenschirme und Teppiche
Hier eine Penny-Münze anno 1903 mit dem rückseitig aufgeprägten Slogan englischer Feministinnen: «Votes for Women». Dort knallbunte Regenschirme, mit denen sich Demonstranten 2014 in Hongkong gegen Pfefferspray und Tränengas wehrten. Oder afghanische Teppiche mit Panzer- und Hubschraubermotiven als Protestinsignien gegen die russische Besatzung.
Und eine Terrakotta-Öllampe aus dem ersten Jahrhundert nach Christus: Ihr Untersatz zeigt ein Krokodil beim Sex mit der Ägypterin Kleopatra, der Geliebten Caesars und Augustus'. So ging Underground-Propaganda im alten Rom.
Ein aufmüpfiger Babylonier
Das älteste Ausstellungsstück ist ein Ziegelstein aus dem Babylon des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts mit dem Stempel Nebukadnezar II. Direkt über dessen Signatur hat sich – per Keilschrift – ein einfacher Arbeiter verewigt.
Er setzte seinen Namen, Zansiba, direkt über den des Herrschers. «Das ist schlimmste Majestätsbeleidigung! Eine unerhörte Frechheit», schmunzelt Hislop. «Hut ab vor dem Mann. Danach hat er den Stein schön eingemauert und versank wieder in der Anonymität.»
Neandertaler mit Einkaufswagen
Unter Hislops Ägide wird das Museum selbst zur Zielscheibe einer Kunstattacke.
2005 schmuggelte der britische Graffiti-Guerillero Banksy sein Werk «Peckham Rock» ins Hohe Haus in Bloomsbury. Tagelang hing der Stein – inklusive Informationstafel – unbemerkt in einer Galerie zum Thema Romano-Britannien.
Banksys «Rock» ist ein mit Motiven steinzeitlicher Höhlenmalerei verzierter handtellergrosser Betonbrocken. Zu sehen sind Speere, ein erlegter Bison, ein Jäger und Sammler – und ein Einkaufswagen aus dem Supermarkt.
Ein Neandertaler unterwegs in die vorstädtischen Jagdgründe: Banksys Jux zielt auf ein prätentiöses museales Establishment und auf den modernen Kunstkonsum.
Für Kurator Hislop beweist der Steinzeit-Shopper, dass kreativer Ungehorsam Mühe und Engagement koste. «Solche Aktionen sind oft effektiver als lautstarker Protest oder ein schlauer Kommentar.»
Geschichte(n) gegen den Mainstream
Angeregt wurde die Ausstellung «I Object» schon vor Jahren vom ehemaligen British Museum-Direktor Neal MacGregor, dem späteren Gründungsintendanten des Berliner Humboldt Forum.
Hartwig Fischer, MacGregors Nachfolger in London, meint, dass die Schau zur rechten Zeit komme. «Die harte Auseinandersetzung der Meinungen ist notwendig und ein Zeichen von Vitalität. Hislop zeigt, wie facettenreich kreativer Ungehorsam ist.»
«I Object» präsentiert Geschichte und Geschichten gegen den Mainstream. Schade nur, dass Londons grösster Kunsttempel mit Ausnahme des einen Banksy hier recht glimpflich davon kommt.
Denn im Hinblick auf anhaltende Kontroversen um die Herkunft einzelner Objekte – etwa Artefakten, die ursprünglich vom Athener Parthenon stammen – kann man sagen: Die Historie des Museums und seiner Sammlungen ist so umstritten wie Grossbritanniens imperiales Erbe.
Sendung: Kultur-Aktualität, SRF 2 Kultur, 11.09.2018, 17.20 Uhr