Die Wasserkirche am Zürcher Limmat-Ufer ist aktuell ein Ort der zeitgenössischen Kunst. Im ehemals sakralen Bau sind acht Werke von Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Sie alle haben sich mit dem Shutdown im Frühling 2020 auseinandergesetzt.
Alltägliches wird dabei aussergewöhnlich: Der Künstler Gregor Vogel beispielsweise sammelte unzählige Hinweis- und Verbotsschilder oder Blätter, denen er im Alltag begegnete. Für die Ausstellung im Kirchensaal hat er sie auf ein riesiges, sechs Meter hohes Brett geklebt. «Bitte nur zwei Personen im Laden», «Hier Hände desinfizieren» oder «Ab hier bitte Mund- und Nasenmaske tragen» ist zu lesen.
«Wir heute verstehen das. Wenn sich das jemand in 15 bis 20 Jahren ansieht, wird er denken: ‹Was ist das? Was war da los?›», sagt Co-Kurator Ulrich Gerster. Gemeinsam mit Klara Piza kuratiert er die Ausstellung in der Wasserkriche und dem Kulturhaus Helferei in Zürich.
Die Ausstellung sei dadurch wie ein Archiv der Corona-Zeit, beschreibt Gerster. Eine Aufforderung, sich in dieser Zeit, wo alles stillsteht, zu einer aktiven Auseinandersetzung mit der neuen Situation zu bringen – mit den Mitteln der Kunst.
Ein absoluter Blickfang ist der sogenannte «Topspreader»: ein Laubbläser, montiert auf einen drehbaren Bürostuhl. Ist der Bläser in Betrieb, dreht er sich um seine eigene Achse. Die Installation eines Zürcher Künstler Trios erinnert an die scheinbar ausweglose Situation, in der wir uns seit Ausbruch der Pandemie befinden.
56 Tage lang Haare verlieren
56 Tage. So lange dauerte die ausserordentliche Lage im Frühling 2020. In diesen 56 Tagen hat die Künstlerin
Hanga Séra jeden Tag einen Haarbüschel aus ihrer Haarbürste gesammelt und präsentiert sie nun akribisch unter goldenen Datumsplaketten.
Diese lückenlose Dokumentation des Shutdowns ist auch beim markantesten Kunstwerk im Saal Thema, einem begehbaren Holzrahmen. Im Innern ist man umzingelt von grossflächigen, expressiven Schwarz-Weiss Zeichnungen.
Die Arbeit stammt von Anna Rudolph und sei ein Nachbau ihres Ateliers, erklärt Ulrich Gerster. Am Anfang des Lockdowns hat die Künstlerin ihr ganzes Zimmer mit Papierbahnen überdeckt.
Als Betrachter kann man nun ihre Bewegungen während der Isolation nachempfinden. Die Erinnerungen an die eigene Gefühlslage während dieser ungewissen Zeit folgen unmittelbar.
Kommt diese Ausstellung nicht etwas zu früh?
Überhaupt ist dieser voyeuristische Blick der Ausstellung auf eine nur vermeintlich vergangene, schwierige Zeit aufwühlend. Stellt sich die Frage, ob diese Ausstellung nicht etwas verfrüht kommt – immerhin scheint die Krise noch nicht überwunden.
«Mir persönlich gefällt es eigentlich sehr gut, dass wir diese Ausstellung in einer Zeit machen können, wo die Menschen in der Situation auch noch drinstecken», sagt Co-Kurator Ulrich Gerster. «Sie können hierher kommen und setzen sich nicht nur retrospektiv mit der Pandemie auseinander. Sie setzen sich auch jetzt mit ihrer heutigen Situation auseinander», so Gerster.
Auf zauberhafte Weise erlangt man dadurch auch eine gewisse Distanz zur aktuellen Situation. Ein Zustand, den man in ungewissen Zeiten wie diesen sehr gerne annimmt.