Kann man einen Kuss digitalisieren?, fragt das holländische Künstlerduo Lancel/Maat. Man kann: Ihre Installation «EEG KISS» zeichnet echte Küsse von Besuchern auf. Mit einem Headset werden während dem Küssen die Gehirnwellen gemessen. Anschliessend sind die Kussdaten wie eine Art Musikpartitur für alle auf dem Boden als Projektion zu sehen und auch zu hören. Wer will, kann seinen digitalen Kuss gleich auf einem USB-Stick mitnehmen oder in die Cloud hochladen.
Was sagen diese Kussdaten aus? «Bei der Installation geht es um Daten und Intimität. Was ist Intimität und wie verändert die Datafizierung unsere Welt. Ist Intimität überhaupt messbar? Das wollen wir herausfinden», sagt Künstler Hermen Maat. Als Besucher fragt man sich zudem: Wie intim sind unsere Daten? Was für Folgen hat die Digitalisierung des Intimen?
Verabredung mit dem Flirt-Bot
Diese Fragen greift auch das Schweizer Künstlerduo !Mediengruppe Bitnik mit der Installation «Ashley Madison Angels at Work in Basel» auf. Die Vorgeschichte: Im Jahr 2015 wurde bekannt, dass das Online-Dating-Portal Ashley Madison 75'000 Chatbots nutzte, um weltweit Männer in kostspielige Chats zu verwickeln. Männer haben also mit Frauen gechattet, ohne zu merken, dass sie eigentlich mit Bots flirteten.
Das Künstlerduo gibt fünf dieser Bots nun ein Gesicht: Sie sind als weibliche Avatare mit maskierten Augen auf grossen Bildschirmen zu sehen – und flirten mit den Besuchern. Wenn man diesen Avataren gegenüber steht, stellt man fest: von intelligenten, menschlichen Wesen sind sie weit entfernt – dennoch wurden sie von vielen Männern als Menschen gesehen. Wäre mir das auch passiert? Ist das unsere Zukunft?
Kritscher Blick erwünscht
Die Ausstellung «Future Love» will keinen mahnenden Zeigefinger heben. Es gehe nicht darum, neue Technologien in Frage zu stellen, sagt Kurator Boris Magrini.
Aber: «Man sollte immer einen kritischen Blick haben. Warum gibt Online-Dating-Apps? Was sind die Gedanken dahinter? Wer steuert das? Kritisch sein heisst aber auch: mitmachen. So kann man diese Vorgänge besser verstehen und darauf reagieren.»
Ausserhalb der Sex-Komfortzone
Selbst mitmachen kann man auch im Haus der elektronischen Künste. Zum Beispiel in der Installation «Truth Table» des britischen Künstlers Ed Fornieles. Man legt sich auf eine Matratze, zieht ein Virtual-Reality-Headset an und hat virtuellen Sex mit verschiedenen Avataren. Wen man verkörpert, Mann oder Frau, und wem man begegnet, ist reiner Zufall. Und so finde ich mich kniend vor einem nackten Mann wider – eine Situation, die ich selbst nicht gewählt hätte.
Ed Fornieles setzt damit bewusst die Logik von Online-Umgebungen ausser Kraft – wo wir uns gewohnt sind, nur auf das zu treffen, das uns vertraut ist. «Diese Arbeit ist interessant, da wir unsere Komfortzone verlassen müssen. Vielleicht führt so eine Software auch zu mehr Toleranz und Offenheit», hofft Boris Magrini.
Die Zukunft ist jetzt
Offenheit lohnt sich beim Besuch von «Future Love». Auf den ersten Blick erscheinen einige Kunstwerke utopisch, spekulativ. Zum Beispiel die slowenische Künstlerin Špela Petrič, die eine Mischspezies zwischen Mensch und Pflanze entwickeln will. Oder die Schweizer Künstlerin Chloé Delarue, deren Installation ein illegales Genlabor darstellt, mit dem einst die Unfruchbarmachung der Menschheit erreicht werden könnte.
Doch trotz dem Titel «Future Love» geht es in der Ausstellung um das Jetzt. Die Fragen, die die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung stellen, betreffen uns heute schon.
Sendung: Kultur aktuell, 18.1.18, 7.20 Uhr, Radio SRF 2 Kultur