Der Ort Promontogno im Bergell ist ein Ort mit Geschichte: Die Sommervilla der Baronessa Castelmur und die Talsperre Lan Müraia aus römischer Zeit gehören zu den wichtigen architektonischen Landmarken.
Vor allem aber ist Promontogno ein Ausflugsziel für Wanderer. Warum stellt man an einem solch abgelegenen Ort Kunst aus?
«Man nimmt sich Zeit»
«Es bieten sich hier ganz andere Möglichkeiten als an einem Ort, an dem es schon 30 Galerien und fünf Museen gibt. Es ist noch nicht so verbraucht», erklärt Luciano Fasciati, der Kurator der diesjährigen Biennale Bregaglia.
Die Leute müssten sich entscheiden, ins Bergell zu kommen: «Wenn die Leute sich dafür entscheiden, bleiben sie auch länger. Sie nehmen sich Zeit, die Ausstellung wirklich fundiert anzuschauen.»
Je nach Wetter kommen 50 bis 100 Besucherinnen und Besucher pro Tag. Es gibt Wanderer, die die Kunstwerke eher zufällig entdecken, aber auch Kunstinteressierte, die extra anreisen.
Für den Ort gestaltet
Die Biennale Bregaglia ist nicht die einzige Schweizer Sommerausstellung unter freiem Himmel. Was sie laut Luciano Fasciati von anderen Ausstellungen unterscheidet, ist «dass der grösste Teil der Arbeiten für und mit dem Ort entwickelt werden. Sie werden also nicht vom Atelier an den Ort importiert, sondern entstehen in Auseinandersetzung mit der Sprache, mit dem Tal und seiner Geografie.»
Zwölf Künstlerinnen und Künstler aus allen Sprachregionen der Schweiz machen an der Biennale Bregaglia mit – aus verschiedenen Generationen, mit verschiedenen Arbeitsweisen.
Einige beziehen sich auf die Landschaft, andere auf die Architektur wie die Talsperre Lan Müraia oder die Kirche Nossa Dona. Diese Bezugnahmen sind wichtig.
Sie lassen die Örtlichkeiten neu entdecken, sagt Luciano Fasciati: «Es wird sehr vielen auch Einheimischen erst jetzt bewusst, was sie mit diesem Ort haben und was dieser Ort bedeutet.»
Blick in den Turm
Roman Signers Installation «Am Turm» ermöglicht den Besuchern, erstmals ins Innere der mittelalterlichen Turmruine zu blicken. Von der ehemaligen Festungsanlage stehen nur noch die Aussenmauern. Eine Treppe existiert nicht mehr.
Signer hat nun eine Holztreppe aussen am Turm installiert. Neben Pflanzen gibt es drinnen einen in der Luft hängenden Eimer zu sehen: Ein Gebrauchsgegenstand, der auf die ursprüngliche Funktion der Ruine als Wohnturm verweist.
Im Laufe der Zeit wird der Eimer sich mit Regenwasser füllen, das auch die Pflanzen darunter bewässert. Der Eimer ist für Signer ein Sinnbild des menschlichen Eingriffs in die Natur, der aber die Harmonie zwischen Mensch und Natur nicht stört.
Spiel mit der Geschichte
Auch Alex Dorici befasst sich mit der Architektur des Ortes. Der Tessiner Künstler stellt normalerweise Zeichnungen aus Klebebändern her. Nun überträgt er dieses Prinzip auf eine Skulptur: Einen roten Metallbogen, den er in der Öffnung der Festungsmauer Lan Müraia platziert hat. Dort, wo früher Zölle erhoben wurden.
Die schon von Weitem sichtbare Skulptur verändert das Landschaftsbild. Sie wirkt als Portal und verweist so auf die Grenzfunktion von Promontogno.
Falsche Heuballen
Doch nicht alle Kunstwerke wurden explizit für den Ort entworfen. Zum Beispiel die Heuballen aus weiss lackiertem Chromstahl von Not Vital, die täuschend echt im Gras auf dem Felshügel liegen.
Sie passen aber dennoch in die Ausstellung, so Luciano Fasciati, weil sie mit landwirtschaftlichen Traditionen spielen. «Interessanterweise gibt es diese Siloballen im Bergell kaum. Und schon das hat für Diskussionen gesorgt: ‹Bei uns gibt es das ja gar nicht. Was soll das?› Ich denke, genau das ist interessant.»