Er ist nicht gerade ein Mann der feinen Töne. Johann Heinrich Füssli liebt den grossen Auftritt. Sein berühmtestes Bild «Der Nachtmahr» sorgt 1781 für einen handfesten Skandal in Londons Kunstszene und macht den unbekannten Schweizer schlagartig berühmt.
Die rätselhafte Komposition um eine lasziv hingegossene Frauenfigur gilt heute geradezu als Abziehbild der schwarzen Romantik.
Der Maler des Skandalbilds ist ein guter Stratege auf der Jagd nach Aufmerksamkeit.
Auf Füsslis gerne überdimensionierten Bildern erdolchen sich nackte Damen, muskelbepackte Kraftprotze stürzen in Abgründe oder hässliche Monster fletschen die Zähne. Warum dezent, wenn’s auch deftig geht?
Erfolgsrezepte
Füssli hat eine Nase für hochdramatische Szenen, seine Arbeiten sind Bild gewordene Überwältigungsstrategien. Und sie gewähren seinem Publikum die Flucht aus dem Alltag.
Dieser hochgebildete Spross einer Zürcher Künstlerfamilie sucht seine Motive in der Weltliteratur. Bloss nicht langweilen! Er malt grosse Bilder zu grossen Geschichten mit grossen Konflikten: Hamlet, Macbeth, King Lear von Shakespeare, die antiken Mythen in der Überlieferung Homers und Vergils oder die Sagen der Edda.
Extremzustände der Seele
Oder er illustriert zeitgenössische Gedichte und erforscht die Extremzustände der menschlichen Seele. Auf Füsslis Bilder kommen dramatische Szenen, dekoriert mit vielen Muskeln und nackter Haut.
Aufmerksamkeit erregen
Das ist als künstlerische Erfolgsstrategie schon mal nicht schlecht. Aber Füssli geht weiter und befreit die Malerei aus ihren Gattungsgrenzen. Anders als Literatur oder Theater vermag ein Bild keine zeitliche Entwicklung zu zeigen. Bildende Kunst stellt statische Momentaufnahmen dar. Johann Heinrich Füssli aber sucht sich die Momente für seine Bilder so aus, dass Entwicklungen sichtbar werden.
Sein grosses Bild «Dido auf dem Scheiterhaufen» zeigt darum nicht den Höhepunkt des Plots aus Vergils «Aeneis»: Die schöne Königin von Karthago, die sich selbst tötete, da sie von Aeneas verlassen wurde.
Füssli zeigt nicht den Leichnam, sondern den Todeskampf der Dido. Ausserdem fügt er sprechende Details hinzu: ein bluttriefendes Schwert und eine trauernde Frauenfigur. Selbst wer seinen Vergil nicht präsent hat, merkt, hier passiert Tragisches!
Aus Heinrich Füssli wird Henry Fuseli
Füssli reicht seine «Dido» für die Jahresausstellung der Royal Academy in London ein. Nicht nur weil das Bildsujet spektakulär, erotisch aufgeladen und narrativ verdichtet war, sondern auch, weil Joshua Reynolds, der einflussreiche Präsident der Royal Academy, ein Bild mit demselben Sujet eingereicht hatte. Newcomer Füssli machte sich als Herausforderer des mächtigen Reynolds sofort einen Namen in der Londoner Kunstwelt.
Der Mann wusste Aufmerksamkeit zu erzeugen und machte in London ab 1780 Karriere. Die Ausstellung «Füssli. Drama und Theater» im Basler Kunstmuseum macht mit rund 60 Ölbildern die ausgefeilte Karriereplanung des Künstlers sichtbar.
Sie zeigt aber auch, wo sich Füssli verspekulierte. Denn so strategisch der Zürcher Künstler in London vorgeht, die Gunst des Publikums lässt sich nicht berechnen. Sie ist volatil.
Fiasko «Milton Gallery»
Füssli scheitert mit seinem Versuch als selbstständiger Künstler-Unternehmer mit Bildern zu Miltons «Paradise Lost» die Massen zu begeistern. Zehn Jahre seines Lebens und viel Geld steckt er in das Projekt. Ohne Erfolg.
Vielleicht, weil seine auf maximalen Effekt hin berechneten Bilder schlicht «too much» sind.
Zu dramatisch die Szenen, zu spektakulär verdreht die Körper und zu muskulös die Protagonisten. Doch gerade diese Grenzüberschreitung macht sie heute wieder attraktiv.