Im Kongo wütete der Kolonialismus. Bis 1960 wurde die belgische Kolonie systematisch ausgeplündert, die Bevölkerung terrorisiert und ermordet.
Um 1900 dokumentierte die britische Missionarin Alice Seeley Harris, was als «Kongo-Gräuel» in die Geschichte einging. Verstümmelte Menschen in Ketten, drakonische Strafmassnahmen mit der Nilpferdpeitsche, abgehackte Hände und Füsse.
Die Fotos von Harris und anderen führten zur ersten internationalen Menschenrechtsbewegung und dazu, dass der belgische König Leopold II. den Kongo nicht mehr als sein Privateigentum ausbeuten konnte. 1908 trat er das Gebiet als Kolonie an den belgischen Staat ab.
Über 100 Jahre später analysiert der kongolesische Künstler und Komponist David Shongo im Museum Rietberg die Ambivalenz von Harris’ Fotos. Sie hätten eine anti-koloniale Aussage, gleichzeitig aber eine koloniale Grundhaltung. «Alice Seeley Harris war von der Überlegenheit der weissen Rasse überzeugt».
Mangelnde Wertschätzung
Für die Ausstellung «Fiktion Kongo» hat sich Shongo mit kolonialer Fotografie aus dem Archiv von Hans Himmelheber auseinandergesetzt.
Auch auf Himmelhebers Fotos entdeckt Shongo Ambivalenzen: Wertschätzung für die Porträtierten, der Versuch sie zu würdigen, sei ebenso zu sehen wie Himmelhebers koloniale Haltung. «Er war wie ein Jäger stolz auf seine Fotobeute», sagt Shongo.
Der kongolesische Künstler fügt Himmelhebers ambivalenten Fotos eine eigene Schicht hinzu, indem er sie als Collagen weiterverarbeitet.
Neben David Shongo spiegeln weitere kongolesische Künstlerinnen und Künstler wie Sammy Baloji, Michèle Magema, Monsengo Shula und Sinzo Aanza in dieser Ausstellung Himmelhebers Fotos.
«Wir wollten dieses Archiv nicht nur aus unserer westlichen Perspektive interpretieren», sagt Michaela Oberhofer vom Museum Rietberg, eine der beiden Kuratorinnen der Schau.
Zu sehen sind in der multiperspektivischen Ausstellung die Kunstwerke, die Himmelheber im Kongo erwarb, Teile seines Archivs (Tagebücher, Notizen, Fotos, Briefe) und die zeitgenössischen Arbeiten der kongolesischen Künstlerinnen und Künstler.
Ihre Werke reflektieren das Archiv Himmelhebers und die Objekte, die er im kolonialen System des Kongo für Europa zusammenkaufte. Das ist verdienstvoll, interessant und bequem. Denn so denken die Nachfahren der Kolonisierten für das Museum Rietberg über den Kolonialismus nach.
Wird hier Verantwortung delegiert? Michaela Oberhofer vom Museum Rietberg antwortet mit einer Gegenfrage: «Was wäre die Alternative gewesen?» Vermutlich gibt es keine. Es hat eben alles zwei Seiten. Mindestens.