Als im Februar 1916 die ersten Veranstaltungen im «Cabaret Voltaire» über die Bühne gingen, tobte in Europa der Erste Weltkrieg. Eine Handvoll Kriegsflüchtlinge fand sich im sicheren Zürich zusammen, um gegen den «Blutozean» zu protestieren und die bürgerliche Kultur zu Grabe zu tragen.
Hans Arp, Marcel Janco, Sophie Täuber, Hans Richter, Hugo Ball, Tristan Tzara und Richard Huelsenbeck schimpften auf die Ölmalerei und suchten eine neue Kunst. Sie produzierten Lautgedichte statt expressionistischer Lyrik, Reliefs statt Bilder.
Dada und die grosse, weite Welt
Bald bildete Dada Ableger in Berlin, Köln, Paris oder New York und wurde mit der Ausweitung immer heterogener. Denn unter dem Sammelbegriff Dada fanden nun ganz unterschiedliche Strömungen zusammen. In Berlin etwa entstand zwischen Novemberrevolution und Weimarer Republik eine hoch politische Bewegung.
Oberdada Johannes Baader forderte die Abdankung der Regierung. John Heartfield entwickelte die politische Fotomontage und kämpfte mit seinen Arbeiten für die Kommunisten und später gegen die Nationalsozialisten.
Berlin ist weit weg vom beschaulichen Zürich. Der politische Dadaismus der Berliner hat nicht viel mit den biomorphen Ovalen zu tun, die der Künstler und Dadaist der ersten Stunde Hans Arp entwickelte. Seine Bilder sollten Werden und Vergehen des Lebens mit reduzierten Formen auszudrücken.
Für dankbare Kindeskinder
Widersprüchlichkeit war zentral für den Dadaismus. In zahlreichen Manifesten spielt sie die Hauptrolle. In seiner «Erklärung» deklamierte Richard Huelsenbeck: «Dada ist das bedeutende Nichts, an dem nichts etwas bedeutet.»
Die «Erklärung» endete mit den Worten: «Nehmen Sie bitte Dada von uns als Geschenk an, denn wer es nicht annimmt, ist verloren. Dada ist die beste Medizin und verhilft zu einer glücklichen Ehe. Ihre Kindeskinder werden es Ihnen danken.»
Zeitgenössische Kunst wäre undenkbar
Dada ist nichts und doch bedeutend. Dada ist Geschenk, das anzunehmen die Pflicht eines jeden ist. Dieser widersprüchlich revolutionäre «Esprit Dada» wirkte weiter – in der US-amerikanischen Pop Art, bei den Situationisten oder in der Punkbewegung.
Die neuen Kunstformen, die die Dadaisten entwickelten, liegen der zeitgenössischen Kunst ganz selbstverständlich zu Grunde: Videokunst und Installation greifen zurück auf die Prinzipien der Collage. Performances wären ohne die Soireen, Feste und Rezitationen der Dadaisten nicht denkbar.
3, 2, 1, Feuer! Den Kunstmarkt torpedieren
So nah der Dadaismus der zeitgenössischen Kunst zu sein scheint, es gibt einen bedeutenden Unterschied. Die Dadaisten produzierten bewusst am Kunstmarkt vorbei, respektive torpedierten ihn mit ihrer Kunst.
Soireen sind unverkäuflich und nichts bleibt von ihnen, wenn der Morgen dämmert. Die rebellischen Dadaisten protestierten nicht nur gegen alles, was vor ihnen war, sie verweigerten sich mit ihrer Anti-Kunst auch den Mechanismen des Markts.
Heute ist jede Position, und sei sie noch so rebellisch, als Kunst verkaufbar. Kunstrebellion ist gesellschaftlich akzeptiert, ja, sie wird sogar erwartet. Verliert damit die Kunst nicht ihren rebellischen Charakter und verhält sich ganz im Gegenteil höchst erwartbar und konform? Auf alle Fälle: Ein Paradox, das ganz nach dem Geschmack der Dadaisten gewesen wäre.