Was ist «Dada-Data.net»?
Anita Hugi: Wir nennen «Dada-Data» eine «Doc by Doing» – «Eine Mitmach-Dokumentation». Wir laden User ein, online an unserer Web-Dok teilzunehmen und Dada zu entdecken – mehr noch: zu erleben. Spielerisch.
David Dufresne: Bei diesem Projekt handelt sich um eine neue Art Geschichten zu erzählen. Es ist kein ehrfürchtiges Projekt. Es ist uns egal, ob Dada 100 Jahre alt wird oder zwölf. Dada war die fortschrittlichste Kunst- und Jugendbewegung zugleich. Dada hat eigentlich das Internet erfunden, unser Leben ist voll von Dada. Deshalb ist «Dada-Data» eine Huldigung an Dada, keine verstaubte Hommage. «Dada-Data» ist weder nur für Kunststudenten noch fürs Museum.
Wie funktioniert «Dada-Data»?
David Dufresne: Die Kernidee besteht aus dadaistischen Übungen, an denen man teilnehmen kann, sogenannte «Hacktions». Sie finden über fünf Wochen hinweg statt. In diesen «Hacktions» sollen die User aktiv werden. Wie die Dadas sollen sie über Landesgrenzen hinweg mitwirken können. Durch das Internet ist das möglich. Gleichzeitig ist es aber auch eine Zürcher Sache, es finden in den fünf Wochen Veranstaltungen im Cabaret Voltaire statt – dem Geburtsort des Dada.
Wie soll der Geist Dadas in dieser Web-Doku erlebbar gemacht werden?
David Dufresne: Wir versuchen, den Geist zu übersetzen. Dafür suchen wir neue Formen eine Geschichte zu erzählen, zum Beispiel durch Interaktivität. «Dada-Data» ist extrem interaktiv. Das bedeutet jedoch auch: Wenn die User nicht mitspielen, nicht klicken, sich nicht anmelden, nicht tweeten, ihre Fotos nicht teilen – dann existiert «Dada-Data» nicht. Das ist fast wie bei einer dadaistischen Performance.
Jede der Hacktionen muss deshalb überraschen. Sie muss etwas sein, das man vorher so noch nicht gesehen hat. Ansonsten wäre es langweilig.
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Das bedeutet, das «Dada-Data» durch die Neugier der Userinnen lebt, die sich auf das Experiment einlassen.
David Dufresne: Ja, das wichtigste für mich ist nicht, dass man in Webdokumentationen Video, Audio, Text, Fotos, Zeichnungen miteinander verschränken kann. Für mich stehen die User im Zentrum, dass sie sich beteiligen können. Jeder Teilnehmer ist daher ein Koautor. Anita Hugi und ich sind zwar die offiziellen Autoren, aber jeder, der bei «Dada-Data» dabei ist, ist ein Koautor. Das Netz ist nicht nur dazu da, Daten zu übertragen oder mit verschiedenen Medien zu hantieren. Man kann etwas erschaffen. Und zwar gemeinsam mit dem Publikum.
Dada ist so reich und vielfältig. Wie entscheidet man in der Entwicklungsphase, wo der inhaltliche Kern liegen soll?
Anita Hugi: Eine der Hauptentscheidungen war es, nicht über Dada als Ganzes zu sprechen, sondern jede Spielform von Dada einzeln zu dokumentieren, was uns die nichtlineare Dokform ermöglichte. Die Serie der Dada-Hacktionen vermittelt jede Woche eine andere Dada-Disziplin: die Collage, das Readymade, das Simultangedicht usw.
David Dufresne: «Dada-Data» ist eine Dokumentation. Wir dokumentieren die Welt, aber auch die Dada-Bewegung. Also haben wir in «Dada-Data» die Hauptstränge zusammengeführt: beispielsweise die Kollage, die Marionetten, die Readymades, die Manifeste.
Die politische und gesellschaftliche Situation war ausschlaggebend bei der Geburt des Dada. Wie wichtig sind die aktuelle Weltpolitik und unser Wertesystem für das Projekt «Dada-Data»?
David Dufresne: Ein Teil von «Dada-Data» ist der Krieg. Aber wie auf unseren Strassen sieht man ihn nicht. Es ist ein unsichtbarer Krieg. Man kann ihn Wirtschaftskrieg, Religionskrieg und so weiter nennen. In «Dada-Data» ist der Krieg zwar überall spürbar, aber er steht nicht im Vordergrund. Er ist hier und da versteckt. Manchmal ist es auch ein Krieg gegen uns selber. Wie das im Detail funktioniert, wird aber noch nicht verraten.
«Dada-Data» findet auch im Cabaret Voltaire statt. Welche Rolle spielt die Verbindung der Webdokumentation zur Realität?
David Dufresne: Für mich ist die virtuelle Welt Realität. Wir verbringen acht Stunden am Tag vor dem Bildschirm. Ist das real oder virtuell? Gleichzeitig erleben wir eine menschliche Komödie, eine Show – eine Show, die sich dreht um Politik, Wirtschaft oder auch Sport. Diese Show ist für mich virtuell.
Somit ist die vermeintlich virtuelle Welt eine ernste Sache. Es ist Zeit, in diese Virtualität zu springen und sie nicht den Menschen zu überlassen, die nur mehr Seife oder Computerspiele verkaufen wollen. Das ist eine neue Grammatik, ein neues Regelsystem. Jeder ist willkommen, sie zu nutzen. Und ja, klar huldigen wir auch das Cabaret Voltaire, die Geburtsstätte des Dada. Wir wollen, dass sich die Menschen dort treffen. Denn das ist es, was das Internet besonders gut kann: Menschen zusammenbringen, sie vernetzen.
Anita Hugi: Die Dadas haben es geschafft, einen Treffpunkt zu schaffen. Vermutlich war es der erste nur von Künstlern betriebene Veranstaltungsort. Ich glaube, dass die Dadaisten sich dort nur getroffen haben, weil sie eben dort waren. Hätte es das Internet damals schon gegeben, hätten sie sich sicher nicht nur in Persona getroffen. Deshalb versuchen wir mit «Dada-Data» beide Welten zu verknüpfen.