Die einen frech und witzig, die anderen rührend oder aufrüttelnd-dramatisch: Die Marionetten der vor 70 Jahren verstorbenen Schweizer Künstlerin – Ihr Porträt kennt in der Schweiz jeder von der 50er Note – waren gemacht für Bewegung und Action. Und doch wurden sie in ihrem Leben nur wenige Male gespielt.
100 Jahre in Schachteln
Beinahe 100 Jahre verbrachten die 1918 entwickelten Figuren fast ausschliesslich in Schachteln, Regalen, im besten Fall in Vitrinen von Museen. Heute zählen sie zu den wichtigsten und ausgefallensten Kunstwerken der Avantgarde und sind im Besitz des Zürcher Museums für Gestaltung.
Dada-Performance und Kunst
Die 17 Marionetten wurden von der Schweizer Künstlerin, Tänzerin und Designerin Sophie Taeuber-Arp im Jahr 1918 für das Puppenspiel «König Hirsch gestaltet». In den Figuren von ausserodentlichen Ausdruckskraft und Expressivität kamen Dada-Performance, konkrete und konstruktivistische Kunst zusammen. Die Figuren sind kleine gedrechselte Holzskulpturen, die aus lauter geometrischen Formen - Zylindern, Konussen, Kugeln - gemacht sind.
Verbunden sind diese Elemente durch Gelenke aus Metallösen, das machen sie fast unbegrenzt beweglich. Diese Verbindungselemente sind von den sparsamen, rein symbolischen Kleidchen nicht kaschiert – die ganze Konstruktion der Marionetten bleibt sichtbar.
Verfremdet durch diese Freilegung der technischen Struktur, auch durch Geometrisierung der Körper, sind die Marionetten dazu noch frech und witzig gekleidet – entsprechend dem verfremdeten, frechen und lustigen Stück, das sie spielten. Ursprünglich war es ein tragikomisches Märchen von Carlo Gozzi aus dem 18. Jahrhundert. Die Hauptlinie des Sujets: König Deramo, der auf der Suche nach der richtigen Ehefrau ist, veranstaltet ein Brautwettbewerb, an dem verschiedene junge Mädchen teilnehmen.
Eine Parodie auf die Psychoanalyse
Das Stück wurde dadaistisch bearbeitet, modernisiert, auch reichlich mit Zürcher Lokalkolorit ausgeschmückt. So lasen Figuren in der Neubearbeitung von 1918 zum Beispiel den «Tages-Anzeiger», stiegen im Hotel Bellvue ab. Sie jagten auch im Burghözliwald, und nicht von ungefähr – das Stück ist auch eine Parodie auf die Psychoanalyse. So tritt darin anstelle des Zauberes die Figur Namens Freud Analytikus auf, er hat einen Assitenten Doktor Oedypus Kopmlex – die Anspielung auf den in Zürich praktizierenden C.G.Jung. Für die zahlreichen Verwandlungen eines Menschen zum Tier ist nicht mehr der Zauberspruch, sondern die Kraft «Urlibido» zuständig.
Das Stück, 1918 in Zürich zum ersten Mal aufgeführt, wurde von der Oeffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dagegen erregten die Marionetten ein grosses Aufsehen in Künstlerkreisen. Allen voran eine von Sophie Taeubers Marionetten: die Wache, die den soeben geendeten Ersten Weltkrieg thematisierte. Mit mehreren Köpfen ohne Gesichter, vielarmig, vielfach bewaffnet – die Figur kann sich in jede Richtung bewegen, kann in jede Richtung angreifen, ist ein richtiger Moloch und die Verkörperung einer anonymen Kampfmacht.