Irgendetwas ist anders als sonst im Berner Münster. Nicht der Pfarrer sondern ein grosser Flachbildmonitor empfängt einen beim Eintreten in die Kirche. Darauf – gross und bildschirmfüllend – die Hände einer Frau und eines Mannes. Wasser kommt von oben und die Hände werden gewaschen. Mehrere Minuten lang. Alles in Zeitlupe.
Bei diesem Video handelt es sich um eines der neun Kunstvideos der Ausstellung «Passions» des 63-Jährigen Künstlers Bill Viola. Der gebürtige New Yorker ist ein Pionier der Videokunst und gilt seit über 30 Jahren als absoluter Meister seines Fachs. Dies nicht zuletzt, weil er zu jenen Künstlern gehört, die Kunst und Philosophie verbinden. Es sind die existentiellen Themen der Menschheit, mit denen sich Bill Viola seit jeher in seiner Videokunst auseinandersetzt. Geburt, Reinigung, Vergänglichkeit und Tod sind somit die zentralen Themen der Videos, welche man beim Rundgang durch das Berner Münster zu sehen bekommt.
Empathisches Trauern
So etwa beim Video «Observance», welches an prominentester Stelle ganz vorne im Chor unter den farbigen Kirchenfenstern steht. Ebenfalls in Zeitlupe kommen ganz langsam ganz unterschiedliche Menschen auf den Betrachter zu. Aber etwas haben alle gemeinsam: Die Trauer. Als Betrachter kann man nicht erkennen, was es ist, dass sie trauern lässt. Es ist einzig die Fassungslosigkeit in ihren Gesichtern, die einen sofort in den Bann des Videos zieht.
Die Ausstellung «Passions» läuft parallel im Kunstmuseum Bern und im Berner Münster. Während im Kunstmuseum ältere Werke Violas gezeigt werden, sind im Münster vor allem neuere Arbeiten zu sehen. Arbeiten, bei denen Viola sich vor allem mit dem Menschen und seiner Leidensfähigkeit auseinandersetzt.
Die Kirche als Kunstgalerie
Und genau das ist das Besondere an dieser Ausstellung: In der Umgebung dieses mystisch-sakralen Berner Münsters werden die Videos nochmals in einen ganz anderen Kontext gestellt. Die Farben der leuchtenden Kirchenfenster stimmen oft überein mit den Farben der Videos. Es scheint fast, als wären die Werke schon immer für diese Kirche gedacht gewesen und umgekehrt.
Verantwortlich für diese Symbiose ist der Schweizer Ethnologe und Kurator Martin Brauen. Während seiner Zeit als Chefkurator am Rubin Museum in New York kam er immer wieder mit Bill Viola in Berührung. Schon damals war für ihn klar, dass er den Meister der Videokunst irgendwann mit einer Einzelausstellung in die Schweiz holen will. Mit dem Berner Münster als Ausstellungsort hat sich Religionshistoriker Brauen einen Traum erfüllt.
Die Dimension der Zeit
Die beiden verbindet der bewusste Zugang zu einer religionsübergreifenden Spiritualität. So nimmt sich Bill Viola in seiner Videokunst nicht nur Vorbilder aus dem Christentum, sondern holt sich auch Inspiration aus dem islamischen Sufismus und dem Zen-Buddhismus. Dies lässt die Ruhe und die Entschleunigung in seinen neuen Werken erahnen.
Wer alle Videos im Kunstmuseum und im Berner Münster in ihrer vollen Länge sehen will, muss sich denn auch Zeit nehmen. Mehr als sechs Stunden dauern alle neun Videos zusammen. Die Ausstellung ist noch bis am 20. Juli zu sehen – noch lange genug, um sich die Zeit für einen Ausstellungsbesuch, der sich lohnt, zu nehmen.