«Blues, Blood and Bruises» steht in grossen Neonlettern über dem Eingang zum zentralen Pavillon in den Giardini. Das Werk von Glenn Ligon kündigt gleich zum Start an, was die Besucher und Besucherinnen der allgemeinen Ausstellung erwartet: Niedergeschlagenheit, Blut und blaue Flecken.
Dabei ist es nicht die Kunst, die Schläge austeilt, sondern die Weltlage. Kunst, die diese spiegelt, hat der aus Nigeria stammende Kurator Okwui Enwezor versammelt. Enwezor hat in den USA studiert und leitet seit 2011 das Haus der Kunst in München. Er hat Erfahrung mit den Grossveranstaltungen des Kunstbetriebs: 2002 leitete er die documenta und lud Künstlerinnen und Künstler aus Afrika, Asien und Lateinamerika ein, um dem eurozentrischen Blick des Kunstbetriebs ein Ende zu setzen.
Bekannte Künstler, aber auch (noch) Unbekannte
Auch in Venedig können Entdeckungen gemacht werden: Die kuratierte Ausstellung im zentralen Pavillon der Gardini und im Arsenale zeigt Künstlerinnen und Künstler, die im globalisierten Betrieb noch nicht aufgetaucht sind. Daneben aber finden sich zahlreiche bekannte Positionen und ab und an auch Altmeister der Gegenwartskunst wie Christian Boltanski, Georg Baselitz oder Hans Haacke. Es geht in dieser Ausstellung denn auch weniger darum, neue Namen zu entdecken. Sondern vielmehr darum, in der dichten Abfolge von Kunstwerken zu neuen Fragen und Aussagen zu kommen.
Kriegerische Auseinandersetzungen markieren den Beginn im Arsenale, dem Ort, wo die Themenausstellung jeweils stattfindet. Auf die Skulpturen aus Schwertern, Macheten und Messern, die der in Algerien geborene Künstler Abdel Abdessemed zusammenstellt wie Schirme, folgen martialische Metallobjekte des US-Amerikaners Melvin Edwards und die beeindruckenden Zeichnungen von Abu Bakarr Mansaray. Er reflektiert seine Bürgerkriegserfahrung in Sierra Leone und erfindet auf seinen Blättern ausgeklügelte Killermaschinen.
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Der Elefant im Porzellanladen
Mit den Dokumentarfilmen von Harun Farocki kündigt sich ein neues Thema an, das allerdings mit Kriegen durchaus in einem Zusammenhang steht: Lohnarbeit. Und eine Installation von Katharina Grosse bringt Arbeit, Krieg und Kunst unter einen Hut. Die deutsche Künstlerin hinterlässt als Arbeit einen Raum, der von Explosionen gezeichnet ist, überall sind die Spuren explodierter Farbbomben zu sehen – Grün, Gelb, Rot, Lila.
Arbeiten von fast 140 Künstlerinnen und Künstlern zeigt Enwezors Ausstellung in den Giardini und im Arsenale. In der Menge der Exponate fühlen sich die Besucherinnen und Besucher ein bisschen wie ein Elefant im Porzellanladen, voller Angst etwas umzustossen, so dicht ist die Kunst gehängt und gestellt.
Die Gefahr der Beliebigkeit
Diese Menge hat phasenweise Beliebigkeit zur Folge. Immer wieder gibt es aber auch dichte Passagen zu erleben, in denen sich unterschiedlichste Kunstwerke zu Themen verdichten. Neben Walker Evans berühmten Fotografien aus den USA der Depressionszeit stehen etwa die Modelle der deutsche Künstlerin Isa Genzken für Kunstprojekte – Arbeit in Vergangenheit und Gegenwart.
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Ein wichtiges Standbein der Grossausstellung sind Live-Elemente. Immer wieder treffen die Besucher auf Performances oder kleine Konzerte. Diese vergänglichen Elemente erzeugen eine andere Konzentration, eine andere Aufmerksamkeit, ein gemeinsames Wahrnehmen. Das tut der grossen Ausstellung gut.
So kann man das also auch sehen
Eine Arena bietet im zentralen Pavillon der Giardini zusätzlich ein pralles Programm: Täglich wird aus Marx‘ Kapital vorgelesen oder es werden Arbeiterlieder aus dem 19. Jahrhundert gesungen, die der britische Künstler Jeremy Deller ausgegraben hat. Und wer den Songs lauscht, kommt zum Schluss: So historisch diese Lieder klingen, viel hat sich an der ausgeklügelten Systematik des Ausbeutung nicht geändert.
Die Kunst, die Okwui Enwezor für seine Ausstellung nach Venedig geholt hat, hat einen engen Bezug zu den aktuellen und vergangenen Krisen und Katastrophen, die unsere Gesellschaften prägen. Allerdings schafft diese Kunst keine Abhilfe. Deutlich wird auch: Sie ist auch kein Mittel der Analyse. Viele der Kunstwerke funktionieren eher wie Wahrnehmungskatalysatoren: So kann man das also auch sehen.