Manchmal schaut man im Museum besser nicht die Kunst an, sondern die Menschen, die die Kunst anschauen. Vor allem in Momenten, in denen die Kunst und ihr Publikum überraschende Beziehungen miteinander eingehen.
Der Berner Künstler Filip Haag hat ein Auge für solche Momente und hält sie mit der Kamera fest. Angefangen damit hat er vor sechs Jahren im Museum of Modern Art in New York.
Damals habe er eine Frau vor einem Gemälde von Jackson Pollock gesehen, deren Bluse dem Gemälde verblüffend ähnlich sah. Wenig später hatte er ein gleiches Erlebnis, diesmal vor einem Werk von Mark Rothko.
«Da ist eine Frau durch spaziert, die trug einen Schal, der absolut identisch mit den Farben auf dem Bild war», erzählt Filip Haag. Er bat die Frau, nochmals vor das Gemälde zu stehen, damit er ein Bild von ihr machen könne.
Als er sie nach den Aufnahmen nach ihrer Mailadresse fragte, um ihr die Bilder zu schicken, schüttelte diese nur den Kopf. «Sie dachte wohl: Aha, auf das läuft’s raus», erzählt Haag. «Ab da habe ich gewusst, dass es keinen Sinn hat, mit jemandem Kontakt aufzunehmen, weder vor noch nach der Aufnahme», so Haag.
Auch wenn man beim Durchblättern des Buches manchmal den Eindruck hat, das müsse arrangiert sein: Filip Haag fotografiert diskret mit dem Handy und ohne Absprache. Das Risiko, dass einer der Fotografierten sich erkennt und klagt, übernimmt der Verlag.
Szenen mit subtilem Witz
Filip Haag ist nicht der erste Künstler, der auf die Idee kommt, im Museum nicht die Kunst, sondern die Kunst-Betrachtenden zu fotografieren. Doch was Haags Bilder von ähnlichen Projekten unterscheidet, ist der subtile Witz.
Der Berner fotografiert nicht nur offenkundige Korrespondenzen zwischen Bild und Betrachterin. Manchmal sind es nur winzige Momente – zum Beispiel, wenn eine Besucherin eine ähnliche Geste macht wie eine Skulptur. Gerade diese Sekundenbruchteile tragen dazu bei, dass man auch die Gemälde und Skulpturen auf den Fotos noch einmal neu wahrnimmt.
Die Jagd nach solchen Momenten benötigt allerdings viel Zeit und nicht jede Foto-Pirsch im Museum bringt Ertrag. «Vieles geht in die Hosen. Die besten Fotos sind eigentlich nicht gemacht», resümiert Haag.
«Im Metropolitan Museum habe ich eine Frau entdeckt, die haargenau wie eine Frau auf einem Gemälde von Goya fünf Räume weiter ausgesehen hat», erzählt er. «Doch die Frau hat das Bild, wo sozusagen ihre Zwillingsschwester drauf war, nicht einmal angeschaut.»