Sie heissen beide Sandra und haben ihren gemeinsamen Traum wahr gemacht: Sie reisten um die Welt, sprachen auf der Strasse spontan Menschen an, fotografierten sie und baten diese um ihre Lebensgeschichte.
Im Gepäck hatten die Fotografinnen eine Kamera und eine Faltwand als Bildhintergrund. Daraus entstand der Fotoband «Menschen wie du und ich».
«Vielleicht waren wir etwas naiv, aber das braucht es wohl, um so etwas durchzuziehen», gesteht Sandra Schmid. Angefangen habe es vor vier Jahren in New York, sie seien auf der Strasse spontan auf Leute zugegangen: «Spannend war, dass uns beiden die gleichen Menschen ins Auge stachen und wir uns immer einig waren, wen wir interessant fanden», sagt Sandra Bühler.
Die beiden Schweizerinnen trafen auf eine grosse Offenheit, niemand verweigerte sich ihrer Anfrage. Die meisten Passanten waren glücklich, dass ihnen jemand Aufmerksamkeit schenkte. Viele der 80 Porträtierten bedankten sich danach.
«In unserer modernen Zeit spricht man viel zu wenig miteinander, das fehlt den Menschen», findet Sandra Schmid. «Erwachsene sagen ihren Kindern oft: Das darfst du nicht fragen, das gehört sich nicht. Aber es gibt meiner Meinung nach keine falschen Fragen – wir haben ohne Berührungsängste gefragt, auch sehr persönliche Dinge.»
Auf die stets gleiche Einstiegsfrage: «Was hat dich im Leben am meisten geprägt?» sprachen Männer und Frauen gleichermassen offen und ohne Tabus über Vergewaltigungen und Drogenelend, über Armut und Tod, aber auch über Hoffnung und Wege aus der Verzweiflung.
Keine Geschichte sei ihnen zu banal oder zu wenig spannend gewesen, sagen die Autorinnen. Gewisse Schicksale aber seien so tragisch, dass sie froh gewesen seien, diese nach dem Fotoshooting zusammen verarbeiten zu können.
Der Mann, der 23 Jahre unschuldig im Todestrakt sass
Zum Beispiel das Leiden des 54-jährigen Nick aus Los Angeles. Er sass 23 Jahre unschuldig im Todestrakt und wurde sein halbes Leben lang als Monster betitelt.
«Das war wahnsinnig eindrücklich, welch warmherzige Ausstrahlung dieser Mann hat, der jetzt wieder in Freiheit ist. Er hat viel gelesen im Todestrakt und ist überhaupt nicht verbittert, sondern hat gelernt, das Schlimme loszulassen. Und er strahlt eine grosse Liebe aus», erzählen beide Sandras übereinstimmend.
Eine andere Begegnung, die sich nachhaltig einprägte: Ein Treffen mit der 74-jährige Emilia aus Peru, die elf Kinder gebar und neun davon sterben sah, weil sie sich keine medizinische Versorgung leisten konnte. «Was für uns selbstverständlich ist oder banal, bestimmt andernorts über Schicksale von ganzen Familien. Das relativiert vieles im eigenen Leben», sagt Sandra Schmid.
Brenzlige Situationen
Die zwei Frauen reisten auch an abgelegene und gefährliche Orte. Im grössten Obdachlosenviertel von Los Angeles habe schon eine bedrohliche Schwere in der Luft gelegen, so Sandra Bühler. Aber auch hier gingen die beiden Frauen unbeschwert auf die Leute zu. Bis Polizisten neben ihnen ihr Auto stoppten. «Sie fragten uns, ob wir uns verirrt hätten und warnten, sie würden es hier nicht einmal bewaffnet wagen, aus dem Auto zu steigen», erinnert sich Sandra Bühler, «das war schon beklemmend.»
Kontakte durch Hilfsorganisationen
Es gibt im Buch auch fesselnde Geschichten von Menschen, welche die Autorinnen über Hilfsorganisationen gefunden haben. Wie Anita aus Nidwalden, welche den Tsunami in Thailand überlebt hat und nun einfach dankbar ist, noch auf dieser Welt zu sein.
Oder David, der dramatisch schildert, wie er sich am 11. September 2001 aus einem der einstürzenden Türme des World Trade Centers retten konnte und nun unter der Schuld leidet, überlebt zu haben.
Oder Denise aus New York, welche die Flugzeugnotlandung auf dem Hudson River äusserlich heil überstanden hat, aber bis heute Panik bekommt, wenn keine Fluchtmöglichkeit vorhanden ist.
Beurteile nie ein Buch nach seinem Umschlag
Das Ziel der Autorinnen war es auch, Menschen eine Stimme und ein Gesicht zu geben, die sonst nie zu Wort kommen. Die Leserinnen und Leser damit zu sensibilisieren, ihre Mitmenschen vorurteilslos zu betrachten – hinter die Fassade zu gucken statt nur auf den äusseren Schein: «Beurteile nie ein Buch nach seinem Umschlag», wie es Sandra Bühler ausdrückt.