Alles ist da, was von einem Menschen nach dem Tod bleibt: Briefe, Zeichnungen, Medikamente, Schminksachen, Kleidung, Schmuck. Auch ihre medizinischen Korsetts hat Frida Kahlo hinterlassen.
Ihr Ehemann, der Wandmaler Diego Rivera, hat alles weggeschlossen, weil er Kahlos Besitz bis nach seinem eigenen Tod unangetastet haben wollte.
Im Badezimmer gefunden
Es dauerte insgesamt 50 Jahre, bis man das vollgestopfte Badezimmer in Kahlos Wohnhaus in der Nähe von Mexico City aufgeschlossen hatte. Der Fund eröffnete einer neuen Frida-Kahlo-Forschung Tor und Tür.
Wie kaum eine andere Künstlerin hat Frida Kahlo ihre persönliche Aufmachung in ihre Werke miteinbezogen. Es sind vor allem Selbstporträts.
Mit ihnen zeigte sie ihre eigene Realität: Sie malte ihre Ängste und Schmerzen. Den körperlichen Schmerz, weil wegen einer Polio-Erkrankung ihr rechtes Bein verkümmert war. Und weil sie mit 18 Jahren beinahe in einem Verkehrsunfall umgekommen wäre. Den seelischen Schmerz, weil sie unter ihrer Kinderlosigkeit, aber auch unter der Untreue ihres Ehemannes litt.
Behinderung, Ängste und Schmerzen
Weil sie nach ihrem Unfall lange liegen musste, begann sie zu malen. Sie montierte einen Spiegel im Bett und malte das, was sie sah – sich selber.
Zeit ihres Lebens musste sie medizinische Korsetts und Gipsgestelle tragen. Ihre körperliche Versehrtheit zeigt sie in ihren Gemälden: Einmal ist ihr Körper transparent und anstelle der Wirbelsäule sehen wir eine gebrochene antike Säule.
In der Realität wie in ihrem Werk zeigt sie sich bevorzugt als stolze Frau mit hochgesteckter Frisur und vielen Blumen im Haar. Dazu trug sie Tehuana – eine traditionelle Bekleidung der Zapoteken. Diese matriarchalisch organisierte Volksgruppe gehört zur Urbevölkerung Mexikos.
Frida Kahlo stammte mütterlicherseits von den Zapoteken ab. In ihrem Nachlass fand man Tehuana-Bekeidung wie Blusen, Röcke und Capes.
Hinweis auf Kahlos Arbeitsweise
Diese Original-Kleidung ist aufschlussreich für die Erforschung von Kahlos Arbeitsweise. Frida Kahlo hat zum Beispiel Jade-Steine aus präkolumbianischer Zeit gesammelt und zu Ketten aufgereiht. Auf einem dieser Steine finden sich grüne Farbstriche. Offenbar hat Kahlo am echten Objekt versucht, den richtigen Farbton zu treffen. Denn auf einem ihrer Bilder trägt sie genau diese Kette.
Solche Erkenntnisse sind spannend. Doch bei anderem aus dem Nachlass stellt sich die Voyeurismus-Frage – zum Beispiel bei einer angebrochenen Creme für Wimpern- und Brauenwachstum.
Creme für Brauenwachstum
Frida Kahlo war auch eine Ikone der Feministinnen: Sie hat sich dem gängigen Schönheitsideal entzogen. Ihre Augenbrauen wuchsen über der Nase zusammen – sie hat sie nicht immer ausrasiert.
Die Monobraue wurde zu ihrem Markenzeichen. Durch den Fund der Creme weiss man nun, dass sie sogar versucht hat, ihre Brauen stärker wachsen zu lassen. Doch muss man das wissen?
Ob es im Sinne Kahlos ist, alle Funde zu veröffentlichen, bleibt fraglich. Tatsache ist: Frida Kahlo hatte keine Berührungsängste, auch ihre eigene Geschichte in ihrer Kunst zu thematisieren. Das ist für die Kuratorinnen und Wissenschaftler, die die Hinterlassenschaft aufarbeiten, Legitimation genug.
Kurz vor ihrem Tod musste sich die damals 46-jährige Kahlo ihr versehrtes Bein amputieren lassen. Fortan benutze sie eine Beinprothese – mit knallrotem Stiefel und chinesischer Stickerei versehen. Auch diese ist in ihrem Nachlass aufgetaucht.
Kahlos Beinprothese wirft einen auf die eigenen Stereotypen zurück: Wie gehen wir heute mit Gebrechlichkeit und Behinderung um? Im Zeitalter der sozialen Medien und der Allgegenwärtigkeit von Selfies und Posieren streben viele nach körperlicher Perfektion.
Frida Kahlo hat ihre Gebrechen immer sichtbar gemacht – in ihrer Kunst. Sie hat sie als Teil ihrer Existenz gesehen.
Und dies längst bevor der geniale englische Wunderdesigner Alexander McQueen 1999 das englische Model Aimee Mullins mit Beinprothesen auf den Laufsteg schickte. Hier zeigt sich: Frida Kahlo war ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus.
Korrektur: In einer ersten Version des Artikels stand zu Beginn fälschlicherweise, dass er sich auf die Ausstellung zu Frida Kahlo in London beziehe. Dieser Fehler entstand bei der Bearbeitung des Artikels. Die Autorin bezieht sich im Artikel ausschliesslich auf das Buch zu Frida Kahlos Nachlass. Der fehlerhaft Abschnitt wurde korrigiert.