Zu Mauern aufgebaute Metallkästen, nackte Glühbirnen, die von der Decke hängen, kaltes Licht, Stapel von getragenen und ungetragenen Kleidern: Requisiten, die auf anonyme Menschen und Schicksale verweisen – und mit denen Christian Boltanski gegen das Vergessen kämpfte.
Ein Sujet, das in engem Zusammenhang mit der Lebensgeschichte des Künstlers stand, der am 6. September 1944 in Paris als Sohn eines jüdischen Vaters geboren wurde.
Weltbekannte Erinnerungskunst
Boltanskis Erinnerungskunst ist weltweit bekannt. Mitte der 1970er Jahre nahm er an der documenta in Kassel teil. Im Neubau der Berliner Akademie der Künste entwarf er eine ständige Rauminstallation.
Einen dauerhaften Platz im Weltkulturerbe Völklinger Hütte bekam er mit einer Installation aus Spinden, aus denen gesprochene Erinnerungen von einstigen Arbeitern ertönen. Im Jahr 2018 entwarf Boltanski dort zudem einen festen Erinnerungsort für die Menschen, die in den zwei Weltkriegen Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte verrichten mussten. Diese Installation zeigt einen Kleiderberg aus schwarzen Hosen und Jacken, umgeben von unzähligen Archivkästen mit Nummern.
Der Konzeptkünstler, Fotograf und Bildhauer war Autodidakt. Er wurde kurze Zeit nach der Befreiung von der Nazi-Besatzung in eine Familie geboren, die auch nach dem Krieg unter dem Trauma von Verfolgung und Denunziation litt.
Alle Freunde seiner Eltern seien Überlebende des Holocaust gewesen, sagte er der französischen Wochenzeitung «L’Express». Das sei zuhause immer Gesprächsthema gewesen. Wie er dem Blatt weiter erzählte, habe seine Mutter allen gesagt, sein Vater sei verschwunden – dabei habe der sich fast zwei Jahre unter dem Boden ihrer Wohnung versteckt. «Ich hatte eine seltsame Kindheit, sehr beschützt und voller Angst», so Boltanski.
Seine persönlichen Ängste verarbeiten
Aus dieser Erfahrung wurde sein Credo: Künstler zu sein, das heisst, seine eigenen Ängste zu verarbeiten. Anfänglich widmete sich Boltanski der Malerei, bis er Ende der 1960er sein Gedächtniswerk schuf, das auf Emotionen basierte und zutiefst menschlich war – jenseits grosser Theorien. Ab 2008 verfolgte er das Projekt «Les archives du coeur»: Herzschläge von Menschen aus aller Welt, die er aufzeichnete und archivierte.
Erst 2019 widmete das Pariser Centre Pompidou ihm eine umfangreiche Retrospektive. Unter den Exponaten war auch sein erster Kurzfilm, «L’homme qui tousse» (Der Mann, der hustet), aus dem Jahr 1969.
In den vergangenen Jahren hat sich Boltanski auch immer mehr mit seinem eigenen Tod auseinandergesetzt. Wie in einem Werk von 2014, «Letzte Sekunde»: eine riesige Digitalanzeige, die die Sekunden des Lebens zählte, und mit seinem Tod aufhören sollte.