Sie schlummert unter dem Betonboden der Place Chauderon, einer der meistbefahrenen Kreuzungen in der Stadt Lausanne: die Comic-Sammlung des «Centre BD» der Stadt Lausanne. Das «BD» steht für «Bandes Dessinées», wie
Comics auf Französisch heissen.
Rund 300'000 Objekte lagern dort: Comic-Bände, aber auch Sachbücher, Zeitungsausschnitte, Werbeartikel, Archive von Zeichnerinnen und Zeichner. Es ist die zweitgrösste Sammlung nach Angoulème in Frankreich – dem Mittelpunkt des französischsprachigen Universums der «Bandes Dessinées».
Deutschschweizer Städte winkten ab
Dass sich diese immense Sammlung in Lausanne befindet, ist Cuno Affolter zu verdanken. Er arbeitete lange als Freischaffender Comic-Experte, organisierte Ausstellungen und Festivals. Er moderierte Gespräche und übersetzte Comic-Bände. Als «Cuno Comix» war er in der Sendung «Sounds» von Radio DRS 3 zu hören.
Affolter selbst sammelte Comics und alles, was damit zu tun hat. Für seine Sammlung von 40'000 Exemplaren suchte er Ende der 1990er-Jahre einen Platz in der Deutschschweiz. Der in Trimbach, Solothurn, aufgewachsene Affolter versuchte es in Olten und Luzern – doch vergeblich.
Eine Begegnung mit dem früheren Leiter der Stadtbibliothek Lausanne, Pierre-Yves Laddor, ebnete schliesslich den Weg für die grosse Comic-Sammlung in Lausanne.
Ein vier Jahrzehnte langes Zwischenjahr
Cuno Affolter gab schon in der Kantonsschule in Olten «Comic-Experte» als Wunschberuf an. Dieser Berufswunsch erschien sogar in der Zeitung. Beim heute 63-Jährigen wurde das damals als «Zwischenjahr» notiert. Aus diesem Zwischenjahr wurden jedoch 45 Jahre. Affolter ist einer der ersten, der sich mit dem Medium Comics in der Schweiz ernsthaft beschäftigte. Nun geht er in Pension.
Der Westschweizer BD-Autor Cosey kennt Cuno Affolter seit Jahrzehnten. Er sagt über ihn: «Cuno Affolter ist einer, der schon früh begriffen hat, dass es sich beim Comic um eine ganz eigene Kunstform handelt. Also weder um Literatur, noch um Illustration, sondern um eben etwas ganz eigenes.»
Früher Rebellen, heute Kunsthochschule
In seiner Laufbahn als Comic-Experte hat sich der Stellenwert der Comics erhöht. Früher wurden sie als Kinderlektüre abgestempelt, heute landen Autorinnen und Autoren wie Riad Sattouf («L’Arabe du futur») oder Marjane Satrapi («Persepolis») Welterfolge bei erwachsenen Leserinnen und Lesern.
Während Comic-Zeichner früher Rebellen waren, ist Comic-Zeichnen heute ein Metier geworden, das sogar an der Kunsthochschule gelernt werden kann.
Abschlussarbeit: «Bande Dessinée»
Etwa an der «École de Bande Dessinée et d’Illustration » an der höheren Fachschule für Kunst in Genf. Dort schreibt und zeichnet die 20-jährige Cassandre Tornay gerade an ihrer Abschlussarbeit – einer «Bande Dessinée» über Boas.
Ein Protagonist, dessen Name zeichnerisch umgesetzt ist: Boas hat Beine so lang wie eine Schlange. Weil er sich als Kind danach sehnte, selber wie eine Schlange auszusehen.
Im Mainstream angekommen
Die junge Zeichnerin wird von verschiedenen Fachpersonen begleitet, etwa von Fred Fivaz, einem Genfer Illustratoren. Der 48-jährige Fivaz hätte sich früher selbst so eine Schule gewünscht. Er musste im gleichen Gebäude der höheren Fachschule für Kunst in Genf noch Grafiker lernen, weil es einen Lehrgang als Comic-Zeichner zu seiner Zeit noch nicht gab.
Comics sind im Mainstream angekommen – das hat sich Cuno Affolter auch immer gewünscht. Dennoch betrachtet er die Entwicklung auch mit gemischten Gefühlen. Nicht alle Graphic Novels erzählten eine gute Geschichte, findet er. Seine eigene Geschichte als Comic-Experte zeichnet vor allem eines nach: Wie Comics erwachsen geworden sind.