Mode ist Albert Kriemlers Leben. Von klein auf ist er fasziniert von Stoffen, Kleidern und Mode: «Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Mode Tischgespräch war», erzählt der heutige Kreativchef des Schweizer Modeunternehmens Akris. «Es gab nicht Schöneres für mich, als meine Freizeit im Stofflager zuzubringen.»
Mit 15 war Kriemler auf dem ersten Stoffeinkauf, mit 16 habe er zum ersten Mal Kunden bedient. Ihm war schon in jungen Jahren klar: «Ich will in der Mode arbeiten.» Das ist ihm gelungen. Heute ist er Modedesigner und leitet das Familienunternehmen Akris zusammen mit seinem Bruder Peter Kriemler in dritter Generation.
Vom Bauernkind zur Schneiderin
Angefangen hat alles mit Albert Kriemlers Grossmutter Alice Kriemler-Schoch. «Sie war das achte Kind aus einer Bauernfamilie von elf Kindern», erzählt Albert Kriemler. «Sie hat im Betrieb ihrer Tante in Flawil das Schneiderhandwerk gelernt, in der Hoffnung, dass sie diesen einmal übernehmen dürfe.»
Der Betrieb ging jedoch an ihren Bruder. «Da hat sie entschieden, nicht nur zwei Söhne auf die Welt zu bringen, sondern ihr eigenes Schneideratelier zu gründen.» Aus einer Enttäuschung heraus wurde sie also Unternehmerin.
Schicke Schürzen als Marktlücke
Das Nähatelier für bestickte Schürzen, das Alice Kriemler-Schoch 1922 in St. Gallen gründete, ist der Grundstein des heutigen Unternehmens Akris. Die Schürze gehörte damals zur Alltagskleidung der Frau. Ihre Schürzen waren figurbetonter und mit Spitzen besetzt – und somit schicker.
Zu Alice Kriemler-Schoch hatte Enkel Albert eine enge Beziehung. «Ich durfte jeweils abends zu meiner Grossmutter», sagt Albert Kriemler, der mit seinen Eltern und Geschwistern im gleichen Mehrfamilienhaus wie sie in St. Gallen wohnte. Seine Grossmutter sei eine aufgeschlossene Frau gewesen: «Mit 60 hat sie Englisch gelernt, mit 62 Autofahren und mit 65 Skifahren.» Bis an ihr Lebensende habe sie Schürzen getragen.
Aus dem Nähatelier wird Akris
An die Gründerin erinnert heute noch der Name des Unternehmens: Ihr Sohn Max hat ihn kreiert, als er die Firma 1944 übernommen hat. Akris setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von Alice Kriemler-Schochs Namen zusammen. Unter der Ägide von Albert Kriemlers Eltern hat sich das Familienunternehmen weg von den Schürzen hin in Richtung Mode entwickelt.
Im Hause Kriemler war das Thema Mode allgegenwärtig. «Ich war schon sehr fashion-fit zu der Zeit», erinnert Albert Kriemler sich. «Ich habe ‹Women’s Wear Daily› gelesen, die amerikanische Tageszeitung für Modeinteressierte und die Branche.» Stapelweise sei sie jeweils mit Verspätung in St. Gallen eingetroffen.
Ein Schlüsselerlebnis bei Yves Saint Laurent
Dass er sich entschied, Modedesigner zu werden, liegt auch an einem prägenden Erlebnis von 1975. St. Gallen war damals das Zentrum der Textilindustrie, Zürich das der Seidenstoffe. Dies unter anderem wegen Gustav Zumsteg, einem Designer und Seidenhändler. Die Zumstegs betrieben in Zürich das Restaurant Kronenhalle. Dort war Albert Kriemler mit seinen Eltern regelmässig zu Gast.
«Als ich 16 Jahre alt war, hat mir Gustav Zumsteg vorgeschlagen, mit ihm nach Paris zu gehen an ein Haute Couture Defilee von Yves Saint Laurent, dem damaligen König der Mode.» Noch heute ist Albert Kriemler begeistert: «Es gab keinen talentierteren Couturier, der einen Blazer, der ja eigentlich für den Mann bestimmt war, für eine Frau in freier Virtuosität immer wieder neu entworfen hat.»
Die Jacke wurde für ihn später zu einem Hauptthema seiner Designarbeit: «Jede Kollektion beginne ich, indem ich 10 bis 20 Jacken zeichne. Das hat seinen Ursprung bei Saint Laurent.»
Dieses Defilee von Yves Saint Laurent schrieb Modegeschichte. «Man muss sich vorstellen, man hat die 1960er-Jahre bereits hinter sich – die schlichten Schnitte, den Mini-Jupe, die Befreiung der Frau», sagt Kunsthistorikerin Karin Gimmi, die im Museum für Gestaltung Zürich eine Ausstellung zu Akris kuratiert hat. «1975 nun bringt Yves Saint Laurent Farben, Formen, Exuberanz, also die Üppigkeit, das Zuviel, das Klimbim.» Das habe der Mode neue Wege eröffnet.
Erste Kontakte zur Pariser Modebranche
Dass Albert Kriemler von Jacken begeistert war, lag auch daran, dass seine Eltern 1972 ein Atelier für Doubleface übernahmen. Aus diesem Stoff, einem Doppelgewebe mit zwei identischen Seiten, wurden vornehmlich warme Kleidungstücke produziert. Akris kaufte solch spezialisierte Unternehmen.
Die Arbeitswelt hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg verändert, Schürzen waren nicht mehr gefragt. Also sattelte Akris um und produzierte Blusen und Kleider. Vater Max und Mutter Ute Kriemler knüpften erste Kontakte zur Pariser Modebranche.
«Max Kriemler hat sich bald nicht mehr damit begnügt, in Paris oder Italien Stoffe einzukaufen», sagt Kunsthistorikerin Karin Gimmi. «Er hat Leute im Modegeschäft kennengelernt und ist zu erstaunlichen Aufträgen gekommen.» So haben die französischen Modeschöpfer Ted Lapidus und Hubert de Givenchy bei Akris in der Schweiz ihre Kollektionen produzieren lassen.
Akris hatte damals noch nicht selber Designermode gemacht. Dass die renommierten Franzosen ihre Mode in der Schweiz produzieren liessen, lag an einem Handelsabkommen, das ihnen untersagte, aus Frankreich in gewisse Länder zu liefern. Also nahmen sie den Umweg über die Schweiz.
Einstieg ohne Ausbildung im Modebereich
Unter Max und Ute Kriemler hat Akris angefangen, mit der oberen Liga der Modewelt zu liebäugeln. Dorthin zu gelangen, war das Ziel von Albert Kriemler: «Ich hatte damals eine wirklich tolle Stage bei Hubert de Givenchy in Aussicht», erinnert er sich. «Aber in meiner Maturawoche ist die rechte Hand meines Vaters gestorben.»
Der Vater bat ihn anstelle seines Geschäftspartners, in den Betrieb einzusteigen. So ist Albert Kriemler bereits mit 19 Jahren bei Akris eingetreten und hat bald schon angefangen, Kollektionen zu gestalten, ohne je eine Ausbildung im Modebereich absolviert zu haben.
1987 hat Albert Kriemler mit seinem Bruder Peter das Unternehmen Akris in dritter Generation übernommen. «Es war mein grösstes Glück, dass mein Bruder nach seinem Studium doch noch anfing, eine Passion für unsere Branche zu entwickeln», erzählt er. Albert Kriemler ist der kreative Chef und Peter Kriemler der unternehmerische.
Wie hoch die Umsatz- oder Gewinnzahlen sind, gibt Akris nicht bekannt. Das Unternehmen ist eine Aktiengesellschaft in Familienbesitz, nicht börsenkotiert und muss deshalb seine Zahlen auch nicht offenlegen. Akris expandierte nach Japan, in die USA, später nach Südkorea und weiteren Orten.
Inspiration von Kunst und Architektur
Albert Kriemlers Kreationen wirken minimalistisch, klar in den Schnitten. Auffällig sind seine poetischen Stoffdesigns. Albert Kriemler holt sich seine Inspiration aus der Kunst, der Fotografie oder der Architektur.
«Ich kann nicht nur im Fashionghetto sein», sagt er. «Ich habe angefangen, in Galerien und Ausstellungen zu gehen und habe gemerkt, wie viel inspirierter ich immer wieder aus Gesprächen mit anderen Kreativen komme.»
So hat er sich beispielsweise vom schottischen Künstler Ian Hamilton Finlay inspirieren lassen und Ansichten von dessen Garten auf Stoff drucken lassen. Oder er hat LED-Fäden in einen schwarzen Stoff weben lassen. Seine Abendkleider sollten aussehen wie der Sternenhimmel in einer Arbeit des deutschen Fotografen Thomas Ruff.
Akris gibt es unterdessen seit gut 100 Jahren. Bald nähern sich die aktuellen Firmenleiter dem Pensionsalter. Wie es weitergeht, sei momentan noch offen: «Es gibt eine vierte Generation aus der Familie meiner Geschwister», sagt der 62-jährige Albert Kriemler. «Es gibt, sage ich jetzt mal, einen Hoffnungsschimmer.» Ans Aufhören denken die Brüder Kriemler jedoch vorerst nicht.