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Von den Schürzen zum Stoff-Poeten: Albert Kriemler und Akris
Aus Kontext vom 11.07.2023. Bild: Keystone/Christophe Petit Tesson
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Designer Albert Kriemler Er machte Akris zum Schweizer Modelabel für Gutbetuchte

Michelle Obama, der Fürstin Charlene von Monaco oder Doris Leuthard: Akris hat es längst aufs internationale Parkett geschafft. Der medienscheue Designer Albert Kriemler gibt einen raren persönlichen Einblick in den Kreativprozess und die Geschichte von Akris aus St. Gallen.

Mode ist Albert Kriemlers Leben. Von klein auf ist er fasziniert von Stoffen, Kleidern und Mode: «Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Mode Tischgespräch war», erzählt der heutige Kreativchef des Schweizer Modeunternehmens Akris. «Es gab nicht Schöneres für mich, als meine Freizeit im Stofflager zuzubringen.»

Ein Mann mittleren Alters mit markanter Brille
Legende: «Ich war schon früh fashion-fit»: Für seine Kollektionen kombiniert Albert Kriemler Minimalismus mit Poesie. Keystone / GIAN EHRENZELLER

Mit 15 war Kriemler auf dem ersten Stoffeinkauf, mit 16 habe er zum ersten Mal Kunden bedient. Ihm war schon in jungen Jahren klar: «Ich will in der Mode arbeiten.» Das ist ihm gelungen. Heute ist er Modedesigner und leitet das Familienunternehmen Akris zusammen mit seinem Bruder Peter Kriemler in dritter Generation.

Vom Bauernkind zur Schneiderin

Angefangen hat alles mit Albert Kriemlers Grossmutter Alice Kriemler-Schoch. «Sie war das achte Kind aus einer Bauernfamilie von elf Kindern», erzählt Albert Kriemler. «Sie hat im Betrieb ihrer Tante in Flawil das Schneiderhandwerk gelernt, in der Hoffnung, dass sie diesen einmal übernehmen dürfe.»

Eine ältere Dame lächelt.
Legende: Am Anfang war die Schürze: Alice Kriemler-Schoch gründete 1922 ein Nähatelier, das später zu einem Modeunternehmen von internationalem Rang werden sollte. Akris

Der Betrieb ging jedoch an ihren Bruder. «Da hat sie entschieden, nicht nur zwei Söhne auf die Welt zu bringen, sondern ihr eigenes Schneideratelier zu gründen.» Aus einer Enttäuschung heraus wurde sie also Unternehmerin.

Schicke Schürzen als Marktlücke

Das Nähatelier für bestickte Schürzen, das Alice Kriemler-Schoch 1922 in St. Gallen gründete, ist der Grundstein des heutigen Unternehmens Akris. Die Schürze gehörte damals zur Alltagskleidung der Frau. Ihre Schürzen waren figurbetonter und mit Spitzen besetzt – und somit schicker.

Zu Alice Kriemler-Schoch hatte Enkel Albert eine enge Beziehung. «Ich durfte jeweils abends zu meiner Grossmutter», sagt Albert Kriemler, der mit seinen Eltern und Geschwistern im gleichen Mehrfamilienhaus wie sie in St. Gallen wohnte. Seine Grossmutter sei eine aufgeschlossene Frau gewesen: «Mit 60 hat sie Englisch gelernt, mit 62 Autofahren und mit 65 Skifahren.» Bis an ihr Lebensende habe sie Schürzen getragen.

Aus dem Nähatelier wird Akris

An die Gründerin erinnert heute noch der Name des Unternehmens: Ihr Sohn Max hat ihn kreiert, als er die Firma 1944 übernommen hat. Akris setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von Alice Kriemler-Schochs Namen zusammen. Unter der Ägide von Albert Kriemlers Eltern hat sich das Familienunternehmen weg von den Schürzen hin in Richtung Mode entwickelt.

Eine Frau und ein Mann stehen chic gekleidet auf einem Balkon.
Legende: Sie liebäugelten schon früh mit der Teppichetage der Modewelt: Max und Ute Kriemler auf der Terrasse ihrer Wohnung in St. Gallen in den 1960er-Jahren. Akris

Im Hause Kriemler war das Thema Mode allgegenwärtig. «Ich war schon sehr fashion-fit zu der Zeit», erinnert Albert Kriemler sich. «Ich habe ‹Women’s Wear Daily› gelesen, die amerikanische Tageszeitung für Modeinteressierte und die Branche.» Stapelweise sei sie jeweils mit Verspätung in St. Gallen eingetroffen.

Ein Schlüsselerlebnis bei Yves Saint Laurent

Dass er sich entschied, Modedesigner zu werden, liegt auch an einem prägenden Erlebnis von 1975. St. Gallen war damals das Zentrum der Textilindustrie, Zürich das der Seidenstoffe. Dies unter anderem wegen Gustav Zumsteg, einem Designer und Seidenhändler. Die Zumstegs betrieben in Zürich das Restaurant Kronenhalle. Dort war Albert Kriemler mit seinen Eltern regelmässig zu Gast.

«Als ich 16 Jahre alt war, hat mir Gustav Zumsteg vorgeschlagen, mit ihm nach Paris zu gehen an ein Haute Couture Defilee von Yves Saint Laurent, dem damaligen König der Mode.» Noch heute ist Albert Kriemler begeistert: «Es gab keinen talentierteren Couturier, der einen Blazer, der ja eigentlich für den Mann bestimmt war, für eine Frau in freier Virtuosität immer wieder neu entworfen hat.»

Eine Frau in einem Hosenanzug raucht.
Legende: Gender-fluid war schon damals: Modedesigner Yves Saint Laurent schneidert Anfang der 1970er-Jahre Herrenanzüge auf den weiblichen Leib. Getty Images / Reg Lancaster

Die Jacke wurde für ihn später zu einem Hauptthema seiner Designarbeit: «Jede Kollektion beginne ich, indem ich 10 bis 20 Jacken zeichne. Das hat seinen Ursprung bei Saint Laurent.»

Dieses Defilee von Yves Saint Laurent schrieb Modegeschichte. «Man muss sich vorstellen, man hat die 1960er-Jahre bereits hinter sich – die schlichten Schnitte, den Mini-Jupe, die Befreiung der Frau», sagt Kunsthistorikerin Karin Gimmi, die im Museum für Gestaltung Zürich eine Ausstellung zu Akris kuratiert hat. «1975 nun bringt Yves Saint Laurent Farben, Formen, Exuberanz, also die Üppigkeit, das Zuviel, das Klimbim.» Das habe der Mode neue Wege eröffnet.

Erste Kontakte zur Pariser Modebranche

Dass Albert Kriemler von Jacken begeistert war, lag auch daran, dass seine Eltern 1972 ein Atelier für Doubleface übernahmen. Aus diesem Stoff, einem Doppelgewebe mit zwei identischen Seiten, wurden vornehmlich warme Kleidungstücke produziert. Akris kaufte solch spezialisierte Unternehmen.

Die Arbeitswelt hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg verändert, Schürzen waren nicht mehr gefragt. Also sattelte Akris um und produzierte Blusen und Kleider. Vater Max und Mutter Ute Kriemler knüpften erste Kontakte zur Pariser Modebranche.

Einziges Schweizer Modelabel an der Paris Fashion Week

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Akris ist seit 2004 als einziges Schweizer Modeunternehmen Mitglied in der Fédération de la Haute Couture et de la Mode (FHCM) in Paris, dem Dachverband der französischen Modebranche. Rund 100 Weltmarken wie Chanel, Yves Saint Laurent, Stella McCartney oder auch Vivienne Westwood gehören zur FHCM. Die Mitgliedschaft erlaubt, seine Kollektionen zweimal jährlich an der Paris Fashion Week zu zeigen – einem wichtigen Treffpunkt der internationalen Modeindustrie.

Aufgenommen werden Modehäuser, die eine Tradition in der Handwerkskunst haben, in den sogenannten Metiers. Das rührt von den Anfängen der Mode in Frankreich her. Sie ist entstanden am Königshof als Bekleidung für Könige, Königinnen und Adelige. «Man hat damit gewisse Kunsthandwerker und Handwerker geschützt, wie eine Art Zunft», erklärt Kuratorin Karin Gimmi.

«Max Kriemler hat sich bald nicht mehr damit begnügt, in Paris oder Italien Stoffe einzukaufen», sagt Kunsthistorikerin Karin Gimmi. «Er hat Leute im Modegeschäft kennengelernt und ist zu erstaunlichen Aufträgen gekommen.» So haben die französischen Modeschöpfer Ted Lapidus und Hubert de Givenchy bei Akris in der Schweiz ihre Kollektionen produzieren lassen.

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Akris im Museum für Gestaltung Zürich
aus Kultur-Aktualität vom 12.05.2023. Bild: Keystone
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Akris hatte damals noch nicht selber Designermode gemacht. Dass die renommierten Franzosen ihre Mode in der Schweiz produzieren liessen, lag an einem Handelsabkommen, das ihnen untersagte, aus Frankreich in gewisse Länder zu liefern. Also nahmen sie den Umweg über die Schweiz.

Einstieg ohne Ausbildung im Modebereich

Unter Max und Ute Kriemler hat Akris angefangen, mit der oberen Liga der Modewelt zu liebäugeln. Dorthin zu gelangen, war das Ziel von Albert Kriemler: «Ich hatte damals eine wirklich tolle Stage bei Hubert de Givenchy in Aussicht», erinnert er sich. «Aber in meiner Maturawoche ist die rechte Hand meines Vaters gestorben.»

Der Vater bat ihn anstelle seines Geschäftspartners, in den Betrieb einzusteigen. So ist Albert Kriemler bereits mit 19 Jahren bei Akris eingetreten und hat bald schon angefangen, Kollektionen zu gestalten, ohne je eine Ausbildung im Modebereich absolviert zu haben.

Bekenntnis zum lokalen Gewerbe in St. Gallen

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Legende: Internationale Fashion, präsentiert in der Heimatstadt: Akris zeigt die Herbst/Winter-Kollektion 2021 in der Stiftsbibliothek St. Gallen. Akris

Akris ist international tätig, hat seinen Sitz jedoch immer in Sankt Gallen behalten. «Es wird nicht die ganze Kollektion in St. Gallen genäht, das wäre eine naive Vorstellung», sagt die Kunsthistorikerin Karin Gimmi, die sich intensiv mit Akris beschäftigt hat. Entwurf und Schnitte würden in St. Gallen gemacht.

Im Tessin werde Kaschmir und Doubleface produziert. Die Produktion der Outfits sei zu einem grossen Teil in Rumänien, wo die Firma Kriemler seit den 1990er-Jahren eigene Betriebe führe. Wirtschaftlich schwierige Jahre hätten zu diesem Schritt geführt, dass die Brüder einen Teil der Produktion aus dem Tessin dorthin verlagert haben. Ein Land, in dem die Angestellten tiefere Löhne haben.

St. Gallen ist für Akris wichtig, um in Kontakt mit dem Kunsthandwerk, mit den Handwerksbetrieben zu sein. «Um handwerklich hochwertige Ware zu erhalten, braucht es kurze Wege», sagt Gimmi. «Es braucht Kontrolle, die man nicht hat, wenn man alles ins ferne Ausland auslagert.»

Für Albert Kriemler macht der Firmensitz in St. Gallen sowohl unternehmerisch wie biografisch Sinn. «Das war auch ein Bekenntnis», sagt Albert Kriemler. «Wir gingen nie nach Indien, sondern wir blieben lokal und haben mit St. Galler Stickern wertvolle Stoffe erarbeitet.» Stickereien sind eines der Markenzeichen von Akris. Damit hat das Familienunternehmen entscheidend dazu beigetragen, dass es die St. Galler Stickereiindustrie noch gibt.

1987 hat Albert Kriemler mit seinem Bruder Peter das Unternehmen Akris in dritter Generation übernommen. «Es war mein grösstes Glück, dass mein Bruder nach seinem Studium doch noch anfing, eine Passion für unsere Branche zu entwickeln», erzählt er. Albert Kriemler ist der kreative Chef und Peter Kriemler der unternehmerische.

Zwei Männer in mittlerem Alter stehen nebeneinander.
Legende: Zwei Brüder, eine Passion: Peter (links) und Albert Kriemler während eines Defilees in Paris. Akris

Wie hoch die Umsatz- oder Gewinnzahlen sind, gibt Akris nicht bekannt. Das Unternehmen ist eine Aktiengesellschaft in Familienbesitz, nicht börsenkotiert und muss deshalb seine Zahlen auch nicht offenlegen. Akris expandierte nach Japan, in die USA, später nach Südkorea und weiteren Orten.

Inspiration von Kunst und Architektur

Albert Kriemlers Kreationen wirken minimalistisch, klar in den Schnitten. Auffällig sind seine poetischen Stoffdesigns. Albert Kriemler holt sich seine Inspiration aus der Kunst, der Fotografie oder der Architektur.

«Ich kann nicht nur im Fashionghetto sein», sagt er. «Ich habe angefangen, in Galerien und Ausstellungen zu gehen und habe gemerkt, wie viel inspirierter ich immer wieder aus Gesprächen mit anderen Kreativen komme.»

So hat er sich beispielsweise vom schottischen Künstler Ian Hamilton Finlay inspirieren lassen und Ansichten von dessen Garten auf Stoff drucken lassen. Oder er hat LED-Fäden in einen schwarzen Stoff weben lassen. Seine Abendkleider sollten aussehen wie der Sternenhimmel in einer Arbeit des deutschen Fotografen Thomas Ruff.

Drei Frauen in schwarzen Kleidern, auf denen kleine weisse Punkte wie Sterne leuchten.
Legende: Wie ein Blick in den Nachthimmel: Akris ist für schlichte Schnitte ebenso bekannt wie für eigensinnige Entwürfe. Akris

Akris gibt es unterdessen seit gut 100 Jahren. Bald nähern sich die aktuellen Firmenleiter dem Pensionsalter. Wie es weitergeht, sei momentan noch offen: «Es gibt eine vierte Generation aus der Familie meiner Geschwister», sagt der 62-jährige Albert Kriemler. «Es gibt, sage ich jetzt mal, einen Hoffnungsschimmer.» Ans Aufhören denken die Brüder Kriemler jedoch vorerst nicht.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «Akris. Mode. Selbstverständlich» ist im Museum für Gestaltung in Zürich noch bis zum 24. September zu sehen.

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Schweizer Label Akris wird 100
Aus Tagesschau vom 02.10.2022.
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Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 10.07.2023, 9:05 Uhr.

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