Ganz einfach fällt es dem Team der Manifesta an der Pressekonferenz nicht, das umfangreiche Konzept der Kunstbiennale zu erklären. Das liegt daran, dass die Manifesta nächstes Jahr in Zürich nicht an einem einzigen Ort, sondern überall in der Stadt verteilt stattfindet. Dadurch sollen auch Menschen, die nicht unbedingt in Kunstausstellungen gehen, mit künstlerischen Fragestellungen konfrontiert werden.
Kunst bei der Stadtpolizei
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Neben klassischen Kulturinstitutionen wie dem Migros Museum für Gegenwartskunst oder dem Helmhaus werden auch sehr ungewöhnliche Orte zu Ausstellungsräumen: ein Hundesalon, eine Zahnarztpraxis oder die Stadtpolizei.
Denn der deutsche Kurator Christian Jankowski hat sich für Zürich ein ganz besonderes Konzept ausgedacht: Er wählte 35 Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt aus, die aus einer Liste mit Berufen diejenige Berufsgattung picken, die sie aus künstlerischer Sicht am meisten interessiert.
Das Militär will (noch) nicht
Das Manifesta-Team um Direktorin Hedwig Fijen und Kurator und Künstler Christian Jankowski fragte bei den Berufsgruppen an und stiess auf Anklang: Aus jedem der gewählten Berufe habe man einen Partner für die Künstler finden können – mit einer Ausnahme, wie Christian Jankowski sagt: «Leider hat das Schweizer Militär abgesagt. Aber da bleiben wir dran, denn die Verbindung von Kunst und Militär hat eine lange Tradition. Die Künstler, die sich für diese Berufsgruppe interessieren, sind gesprächsbereit und offen dafür, auszuloten, was möglich ist.»
Tiefe Einblicke in den Berufsalltag
Sowieso ist die Zusammenarbeit der Künstler mit den lokalen Berufsleuten der spannende Kern der 35 Ausstellungsorte, die unter dem Titel «What People Do for Money: Some Joint Ventures» zusammengefasst werden. Was die Künstler dann mit dem Arbeitsalltag ihrer «Hosts» tun, ist völlig offen: Das kann eine Performance sein, ein Video, eine Skulptur, ein Bild.
Klar ist, dass die Zürcher Berufsleute den Künstlern ihr Zürich zeigen sollen, dass sie tief blicken lassen sollen in ihren Betrieb und ihren Berufsalltag – und somit auch in ihre Identität als Zahnärztin, als Koch oder Polizist. Durch den Blick, den die internationalen Künstler auf Zürich und seine Bevölkerung werfen, soll ein Mehrwert entstehen, der länger anhält als die 100 Tage, in denen die Manifesta Zürich infiltrieren wird.
Der Künstler und der Sternekoch
Auch wenn an der gestrigen Pressekonferenz kaum Namen und konkrete Kollaborationen genannt wurden, eine Kostprobe bekamen die zahlreich erschienen Journalistinnen und Journalisten doch aufgetischt, und zwar wortwörtlich: Der amerikanische Künstler John Arnold wird mit dem Ein-Sterne-Koch Fabien Spiquel vom Maison Manesse zusammenspannen. Gemeinsam werden sie in Zürcher Imbissen gross aufkochen
Die beiden wollen die Imbisskundschaft mit Leckerbissen verwöhnen, wie sie in der Vergangenheit an wichtigen historischen Staatsbanketts serviert wurden. Zu diesem Schmaus sollen die Imbissstammkundschaft wie auch offizielle Botschafter eingeladen werden. «Dadurch entsteht ein Austausch, der sonst nur sehr selten zustande kommt. Menschen, die sonst wohl nie am selben Ort essen würden, werden an einen Tisch gesetzt, treten zueinander in Kontakt. Das kann sehr spannend werden», sagt John Arnold.
Filme auf dem Floss
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Die Begegnungen zwischen den Berufsleuten und den Künstlerinnen und Künstlern sowie die Resultate daraus werden filmisch dokumentiert von Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.
Die Dokumentationen, die durchaus selber künstlerisch sein dürfen, werden im sogenannten «Pavillon of Reflections» gezeigt. Dieser wird im Sommer 2016 auf einer Plattform in der Nähe des Bellevue mitten im Zürichsee stehen. Er dient nicht nur als Openair-Kino und Begegnungsort, sondern tagsüber auch als Bar und Badi.
Viel Vertrauen in die Künstler
Die Idee der Manifesta 2016 in Zürich setzt sehr viel Vertrauen in die Künstler, den kreativen Prozess und das Funktionieren ihrer Beziehung zu den «Hosts». Die künstlerische Freiheit, die ihnen der Kurator Christian Jankowski gibt, ist grenzenlos.
Jankowski – von Haus aus selber Performance- und Videokünstler – ist sicher, dass es fruchtbarer ist, der künstlerischen Inspiration freien Lauf zu lassen, als sie von vornherein einzuschränken. Einschränkungen gäbe es dann in der Umsetzung der künstlerischen Idee schliesslich noch genug. Oder können Sie sich vorstellen, dass die Stadtpolizei Zürich kollektiv an einer nächtlichen Street-Art-Sprayaktion mitmacht? – Eben.