Das Wichtigste in Kürze
- Die documenta 14 in Athen wurde im Vorfeld kontrovers diskutiert . Es wurde gemutmasst, dass sich die Kunst an der Krise Griechenlands berauschen würde.
- Die Schau beweist nun, dass ihr Konzept funktioniert. Sie ist politisch engagiert und etabliert Kunst als mächtigen Gegenpol zu Ökonomie und Politik .
- Die Kuratoren sind überzeugt, dass Kunst Räume öffnet, in denen sich die Gesellschaft neu begegnen kann .
Mit Kunst die Welt zu verstehen, das gehört zur DNA der documenta. Seit 1955 analysiert die Weltkunstschau den Zustand der Welt und reflektiert gleichzeitig die Rolle der Kunst in der Gesellschaft. Die diesjährige Ausgabe etabliert Kunst nicht ganz uneigennützig als mächtigen Gegenpol zu Ökonomie und Politik.
Der Entscheid des Kurators Adam Szymczyk, die documenta 14 nicht nur in Kassel, sondern zuerst in Athen abzuhalten, wurde im Vorfeld kontrovers diskutiert. Von Krisentourismus war die Rede, von imperialer Kulturpolitik, weil deutsches Geld ausgerechnet in Griechenland Kunst ermöglichen soll. Gemutmasst wurde auch, dass sich an dieser documenta Kunst an der Krise Griechenlands und der EU berauschen und bloss wichtigmachen würde.
Gratis essen und leerstehende Häuser
Nun wurde der Athener Teil der Weltkunstausstellung eröffnet und die Schau beweist allen voreiligen Kritiken zum Trotz, dass Szymczyks Konzept funktioniert. Rund 160 Künstlerinnen und Künstler nehmen Teil und zeigen ihre Werke an über 40 Veranstaltungsorten, die in der ganzen Stadt verteilt sind.
Darunter ist Rasheed Araeens Restaurant unter freiem Himmel auf dem Kotzia-Platz, wo zweimal täglich gratis gegessen werden kann. Oder Maria Eichhorns Projekt gegen die Immobilienspekulation mit leerstehenden Häusern in Athen. Weil viele Eigentümer die Eigentumssteuern nicht mehr zahlen können, profitieren Spekulanten von der Krise. Die deutsche Künstlerin schlägt vor, leerstehende Häuser als «un-owned property» vom Markt zu nehmen.
Die Kunst der documenta 14 macht also vor, wie politische Selbstverantwortung geht: sich zum Beispiel bei einem gemeinsamen Essen austauschen und über Krisen diskutieren, um dann gemeinsam etwas gegen Missstände zu tun.
Politische Botschaften
Das politische Engagement ist auch in Werken spürbar, die ganz klassischen Kunstgattungen zuzurechnen sind. Der kurdische Künstler Hiwa K zeigt zum Beispiel seine Skulptur «one room apartment», bestehend aus einer Betontreppe, die auf eine kleine Plattform mit freistehendem Bett führt.
Das kann ebenso als Kritik am Verlust der Privatsphäre gelesen werden, wie als Sinnbild für die Isolation, in der sich viele Migrantinnen befinden. Gleichzeitig erinnert die Skulptur an die vielen angefangenen und in der Krise nicht fertig gebauten Häuser, die in Athen zu entdecken sind.
Der kongolesische Maler Tshibumba Kanda-Matulu malt im Stil populärer Volkskunst farbenfrohe Bilder. Das wirkt naiv, aber nur auf den ersten Blick. Denn Kanda-Matulu hält die Schlüsselmomente der langen kongolesischen Kolonialgeschichte fest – so wie sie wohl im kollektiven kongolesischen Gedächtnis erinnert werden.
Weder zynisch noch naiv
Die Kunst hat etwas zu sagen zu den Krisen der Welt. Ja, manchmal wirkt die Kunst auf dieser documenta 14 in Athen fast etwas geschwätzig, weil so viele Krisen berücksichtigt werden müssen.
Alles, was schief geht, ist Thema für die documenta, würde ein Zyniker sagen. Und der naive Optimist würde wohl jubelnd die Hände in die Luft werfen, ob der Sensibilität für Unterdrückte aller Art.
Der documenta-Kurator Adam Szymczyk und seine Mitarbeiterinnen sind keins von beidem. Sie sind der Überzeugung, dass Kunst als Alternative zu Politik und Ökonomie einen Raum öffnet, in dem sich die Gesellschaft neu begegnen kann.
Um sich darüber auszutauschen, was wichtig ist oder was denn nun gilt. Denn wie Sokrates schon sagte: Am Anfang aller Erkenntnis steht das Eingeständnis der eigenen Unkenntnis.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 11.4.2017, 9:02 Uhr