Kaum kam die Nachricht von Cornelius Gurlitts Tod gestern in Umlauf, wurde über den Verbleib seiner umstrittenen Sammlung spekuliert. Heute wurde klar: Gurlitt hatte wenige Wochen vor seinem Tod ein Testament aufgesetzt. Darin vermacht er die Bilder ausgerechnet einer Kulturinstitution in der Schweiz: dem Kunstmuseum Bern.
Überraschender Anruf
Gestern am späten Nachmittag erhielt der Stiftungsratspräsident des Kunstmuseums Bern, Christoph Schäublin, ein überraschendes Telefonat aus München. Am anderen Ende der Leitung war der Anwalt von Cornelius Gurlitt, wie Christoph Schäublin erzählt: «Wir wurden orientiert, dass wir im Testament des Verstorbenen die Begünstigten seien. Vor einer Stunde wurde uns die Kopie des Testaments zugestellt.»
Im Testament konnte Christoph Schäublin schwarz auf weiss lesen: Gurlitts letzter Wille war, dass seine umstrittene Sammlung nach Bern ins Kunstmuseum kommt. Er habe überhaupt nicht damit gerechnet, sagt Schäublin, da zwischen dem Museum Bern und Gurlitt überhaupt keine Beziehung bestand.
Ausgezeichneter Ruf im Umgang mit Raubkunst
Der Bestand des Berner Kunstmuseums umfasst mehr als 50'000 Kunstwerke, darunter Werke von Vincent van Gogh, Franz Marc und Henri Matisse. Mit der Gurlitt-Sammlung wird sie um Meisterwerke von Claude Monet, Edouard Manet und Pablo Picasso ergänzt. Aber warum hat Gurlitt ausgerechnet Bern ausgewählt? Der Kunstrechtsexperte Andreas Ritter meint dazu: «Das Kunstmuseum Bern hat einen ausgezeichneten Ruf im Umgang mit Werken im Umfeld von Raubkunst.»
Nach all den Jahren, in denen Cornelius Gurlitt seine umstrittenen Geschäfte tätigte und Bilder hortete, vermacht er diesem Museum – mit seinem ausgezeichneten Ruf in Sachen Provenienzforschung – die Bilder. Doch für Andreas Ritter gibt es da wohl noch einen anderen Grund. Gurlitt sei wohl über das Vorgehen der deutschen Behörden verbittert gewesen und habe wahrscheinlich deshalb nach einer neuer Lösung Ausschau gehalten.
Müsste das Kunstmuseum Bern Raubkunst zurückgeben?
Erst wenige Wochen vor seinem Tod hatte Cornelius Gurlitt mit der bayerischen Regierung eine Vereinbarung getroffen. Diese besagt, dass die über 500 der Raubkunst verdächtigten Bilder von einer unabhängigen Task Force untersucht werden. Die restlichen Werke erhielt er zurück.
Das bayerische Justizministerium betonte heute erneut, dass es an dieser Vereinbarung nichts zu rütteln gebe. Die Untersuchung findet dennoch statt, und die kann Jahre dauern. Die Vereinbarung sah auch vor, dass Gurlitt Raubkunst an die Erben der einstigen Besitzer zurückgeben müsste.
Wenn sich nun herausstellen würde, dass sich unter den Gemälden Raubkunst befindet, so müsste auch das Kunstmuseum Bern als Erbe diese Werke den rechtmässigen Besitzern zurückgeben, hält Andreas Ritter fest.
Ist das Testament juristisch korrekt?
Noch ist auch unklar, ob das Testament Gurlitts juristisch korrekt ist, ob es noch ein weiteres gibt und wie sich seine entfernten Verwandten verhalten. Das alles muss – wie so vieles andere – in den kommenden Wochen in Ruhe geklärt werden.
Cornelius Gurlitt hat die letzten Wochen seines Lebens zu Hause verbracht, nach einer schweren Herzoperation. Sein grösster Wunsch war es, nachdem er ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde, dass er seine Bilder wieder sehen kann. Dafür hat es nicht mehr gereicht, sie lagern im Zollfreilager München.
Grosse Verantwortung für das Kunstmuseum Bern
Andreas Ritter meint dazu: «Es ist wohl seine persönliche Tragik, am Ende eines unauffälligen Lebens derart ins grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt worden zu sein. Es ist aber die viel grössere Tragik für unsere Gesellschaft, dass die teilweise sehr zu kritisierenden Ermittlungen für eine Öffentlichkeit gesorgt haben, in der sich wiedermal ganz grundsätzlich die Fragen nach unerledigter Raubkunst stellen.»
Das Kunstmuseum Bern ist sich dieser heiklen Ausgangslage wohl bewusst. In seiner Medienmitteilung schreibt es, dass das Vermächtnis eine erhebliche Verantwortung und eine Fülle schwierigster Fragen aufbürde – Fragen insbesondere rechtlicher und ethischer Natur.