Ein abgemagerter Arm – mit Adern, die sich wie eine Zeichnung nach oben ziehen. Eine Stadt aus der Vogelperspektive – die Strassen bilden ein hypnotisches Muster: Die Fotografien des Berners Balthasar Burkhard brennen sich sofort in die Netzhaut ein.
Sie sind jetzt in der grossen Winterthurer Retrospektive zu sehen, die gleich zwei Gebäude bespielt: die Fotostiftung und das Fotomuseum.
Mehr als nur die Blockbuster
Raumgreifend: So kennen viele die Werke Burkhards. Männerbeine, nah und in Übergrösse, säulenhaft aufgereiht im Raum; die bekannten, monumentalen Luftbildaufnahmen.
Auch das artig posierende Kamel fehlt nicht, das Burkhard in den Neunzigerjahren fotografierte – als Kamel schlechthin, mit vollendeten Rundungen.
Doch die Co-Kuratoren Martin Gasser und Thomas Seelig begnügen sich nicht damit, Burkhards Blockbuster adäquat zu inszenieren. Es ist eine Ausstellung, die in die Tiefe geht, neue Perspektiven und Zusammenhänge ermöglicht. Das hebt sie ab von früheren Retrospektiven in Basel und Bern.
Bodenständiges für den jungen Schnösel
«Für diese Ausstellung konnten wir auf das Archiv von Balthasar Burkhard zurückgreifen», sagt Co-Kurator Martin Gasser. «Da ist viel Material zum Vorschein gekommen.»
Manches davon ergänzt bereits bekannte Werke, zeigt sie in einem neuen Kontext. Aber auch bisher Unbekanntes kommt ans Licht.
Dazu gehören frühe, überraschende Arbeiten wie eine Reportage über das Leben auf der Alp. Angesetzt darauf hat ihn sein Lehrmeister Kurt Blum – ein wichtiger Schweizer Fotograf der Nachkriegszeit. Blum, so heisst es, habe den jungen «Schnösel» Burkhard mit seinen ausgefallenen Ideen bewusst auf ein «bodenständiges» Thema angesetzt.
Bilder voller Düsterheit
Was dieser daraus machte: Stimmungsbilder im Nebel, Kuhkämpfe, Sennen bei der Arbeit. Es sind Bilder voller Ruhe, aber auch von einer Düsterheit und Schwere, die vielen seiner späteren Werke innewohnen.
«Er präsentiert das in einer Art Layout», so Gasser. «Das heisst, er setzt nicht einfach eine Serie von Bildern nebeneinander. Sondern er hat grosse und kleine, stellt sie einander gegenüber, wie eine Geschichte oder eben: wie ein Buchlayout.» Eine von vielen Anregungen, die Burkhard von seinem Lehrmeister Blum mitnahm.
Happenings mit Harald Szeemann
Woher Burkhard seiner Anregungen hatte, von wem er sich inspirieren liess und wie er daraus etwas Eigenes entwickelte: Das zu zeigen, gehört zu den Stärken dieser Retrospektive. Besonders anschaulich werden dabei Burkhards Jahre in der Entourage von Harald Szeemann, der als Kunsthalle-Kurator Bern zum Zentrum der Avantgarde machte.
Burkhard war Teil der «Familie»: «Er fotografierte Kunstaktionen, Happenings, Manifestationen, die nur über Fotos weiterexistieren», sagt Co-Kurator Martin Gasser.
Burkhard also war der Chronist der Konzept-Kunst – und liess sich von den Protagonisten inspirieren. Ohne deswegen zum «Fotokünstler» zu werden: «Er mochte den Ausdruck ‹Fotokünstler› nicht», sagt Gasser. «Ich glaube, er war doch immer stolz darauf, dass er die traditionelle Ausbildung genossen hat.»
Vom Stolz, ein Handwerker zu sein
Burkhard war stolz auf das Handwerk der klassischen Fotografie. Auch seine späteren, monumentalen Werke zeugen von der technischen Perfektion, die ihm wichtig war.
Zugleich suchte er immer neue Wege: In der letzten Ausstellung kurz vor seinem Tod 2010 zeigte er Blumen, fast überirdisch schön, in voller Farbe.
Die Abkehr vom Schwarz-Weiss sorgte für Irritationen. Kurator Martin Gasser indes sieht darin keinen Bruch: «Ich sehe das als eine logische Konsequenz. Ein Erweitern des Vokabulars, die Suche nach anderen Möglichkeiten – da liegt die Farbe schon relativ nahe.»
Nicht auszudenken, wo ihn seine Kunst noch hingeführt hätte, wäre er nicht so früh, 65-jährig, gestorben.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 9.2.2018, 17.40 Uhr