Zum Inhalt springen

Fotografien für die Forschung Morbide Schönheit im Fokus

Michelle Aimée Oesch fotografiert im Auftrag der Wissenschaft. Ihre Bilder aus dem Tierspital sind makaber, bizarr, schön.

Michelle Aimée Oesch hat einen Knochenjob. Was ihr vor die Linse kommt, ist meist schon tot. Als wissenschaftliche Fotografin für das veterinärmedizinische Institut der Universität Zürich rückt sie im Namen der Forschung Skelette, Knorpel und Innereien ins richtige Licht, manchmal auch lebendige Tiere.

Ein Pferdeschädel.
Legende: Auch Skelette können schön sein: Wie dieses Pferdebecken. Michelle Aimée Oesch

Lieber Seziertisch als Hochzeit

Zwischen Seziertisch, Schädelknochen und Kleintierklinik: Nicht unbedingt der Ort, an dem man eine junge Künstlerin erwarten würde.

Michelle Aimée Oesch war aber schon während ihres Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste klar: «Ich will nicht nur am Wochenende fotografieren und an Werktagen in einer Bar jobben. Die üblichen Möglichkeiten, etwa Mode, Werbung, Babys oder Hochzeiten zu fotografieren, waren aber nicht meins.»

Michelle Aimée Oesch

Wissenschaftliche Fotografin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Michelle Aimée Oesch, geb. 1986, studierte Fotografie an der Zürcher Hochschule der Künste und an der RMIT University in Melbourne. Seit ihrem Studium ist sie wissenschaftliche Fotografin an der veterinärmedizinischen Fakultät und am Tierspital der Uni Zürich.

Homepage von Michelle Aimée Oesch

Schon als Kind faszinierten sie die Bilder im «National Geographic»-Magazin. Nach dem Studium googelte sie nach Fotografinnen in der Wissenschaft und schrieb ihre Vorgängerin im Tierspital an. Sie solle vorbeikommen, meinte diese. Später, als die Fotografin auswanderte, übernahm Oesch deren Stelle.

Anschauliches Wissen am «100 Ways of Thinking»-Festival

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Michelle Aimée Oesch

Dieses Wochenende geht es am Zürcher Wissenschaftsfestival «100 Ways of Thinking» um Bilder in der Wissenschaft, mit einem Seminar von Michelle Aimée Oesch. Mehr Infos.

Das Festival ist eine Zusammenarbeit der Universität und der Kunsthalle Zürich. Vom 24. August bis am 3. November gibt es eine Ausstellung und Vorträge über die Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst.

Mal Pferdehufe, mal Katzentatzen

Neben Michelle Aimée Oesch arbeiten noch rund ein Dutzend weitere Fotografen an der Universität Zürich. Doch ihre Zahl hat abgenommen. «Mit der digitalen Fotografie ist es günstiger, einfacher und schneller geworden, Bilder herzustellen. Ärzte und Professorinnen knipsen schneller mal selbst. Ein eigenes Fotolabor mit Laboranten gibt es heute nicht mehr.»

Embryo eines Hundes.
Legende: Ganz nah rangeholt: Kein kleiner Mensch – sondern ein Welpen-Embryo. Michelle Aimée Oesch

Trotzdem muss sie sich um Aufträge keine Sorgen machen. Wenn Forscherinnen ihre Studien dokumentieren wollen, angehende Pferdemediziner Übungsmaterial benötigen oder die Kleintierklinik neuen Wandschmuck braucht, wird sie gerufen.

Wie Fantasiegebilde

Dass ihr Auge nicht nur auf wissenschaftliche Präzision, sondern auch auf ästhetische Gestaltung geschult ist, merkt man Oeschs Bildern an. Meist zeigen sie anatomische Einzelteile eines Tieres, abgelichtet vor schwarzem oder weissem Hintergrund, gestochen scharf – bis ins Detail. Isoliert wirken sie eher wie geheimnisvolle Fantasiegebilde als Forschungsobjekte.

Eine rosarote Lunge vor weissem Hintergrund.
Legende: Wissenschaftliche Fotografie muss nicht nur schön sein, sondern auch präzise. Michelle Aimée Oesch

Natürlich müsse sie als wissenschaftliche Fotografin technisch und gestalterisch präzise arbeiten, erzählt Oesch. Ein wunderschönes Bild alleine bringe niemandem etwas. Aber: «Ein Bild, das nützlich ist, ist meist auch ästhetisch.»

Perfekt designte Natur

So könne auch eine blutige Leber schön sein. Vielleicht nicht, wenn sie auf einem Seziertisch zwischen Innereien und Gerätschaften liege, inszeniert und richtig ausgeleuchtet aber schon. «Ich bin bei meinen Bildern schon perfektionistisch», ergänzt Oesch lachend.

Ein bisschen Schönheit in die Wissenschaft zu holen, sei ein leichtes Spiel: «Das Prinzip ‹Form Follows Function› findet man nirgends so deutlich wie in der Anatomie», erklärt Oesch. «Was die Natur geschaffen hat, ist fast immer wunderschön und perfekt designt.»

Ein aufgeschnittener, blau durchzogenener Zahn.
Legende: Die Natur sei «perfekt designt», sagt Michelle Aimée Oesch. Hier hat sie einen Zahn abgelichtet. Michelle Aimée Oesch

Ihre Bilder bewegen sich oft zwischen der Präzision der Wissenschaft und den kreativen Konzepten der Kunst. Die Serie mit Pfoten von Katzen und Hunden etwa, von unten aufgenommen: Sie wirken wie wissenschaftliche Bilder, haben aber einen rein dekorativen Zweck, «um den Wartebereich in der Kleintierklink zu markieren und zu trennen».

Video
«Ein Knüller»: Die Pfotenbilder an der «Photo 17»
Aus Tagesschau vom 07.01.2017.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 48 Sekunden.

Oder ein trichterförmiger Knochen, den Oesch mehrfach aus verschiedenen Perspektiven abgebildet hat: «Alle Beschaffenheiten sind genau zu erkennen. Je nach Winkel wirkt derselbe Knochen aber ganz anders.»

Zwei Knochen vor schwarzem Hintergrund.
Legende: Neuer Winkel, neue Form: Derselbe Knochen wurde aus zwei Perspektiven abgelichtet. Michelle Aimée Oesch / Collage

Diese Bilder wären wissenschaftlich brauchbar, sind aber privat entstanden. «Man erkennt ohne Vorwissen nicht, dass es derselbe Knochen ist, oder dass er von einer riesigen Giraffe stammt», erklärt Oesch.

So erzählt die Giraffenserie auch etwas darüber, wie wir Bilder betrachten. Als nützliches Anschauungsmaterial können sie uns Informationen vermitteln. Gleichzeitig können sie so überraschend sein, dass eine Welt hinter den Dingen durchschimmert.

Meistgelesene Artikel