«Es klingt grausam, aber das Töten muss automatisiert werden, um zu funktionieren.» Dieser Satz hat ein Soldat der Fotografin Herlinde Koelbl auf einem der vielen militärischen Schiessplätze zu Protokoll gegeben.
Die Fotografin hat lange Gespräche mit Soldaten auf den Truppenübungsplätzen geführt, nachdem sie sie beim Üben beobachtet, fotografiert und gefilmt hat. Ihr Interesse galt dabei den Zielscheiben.
Durch die Einschusslöcher scheint die Sonne
Ihr erstes Ziel hat sie vor 30 Jahren fotografiert, als sie an einer Geschichte über die deutsche Bundeswehr arbeitete. Diese kleine Schwarz-Weiss-Fotografie macht den Auftakt zur Ausstellung «Targets» mit den grossformatigen Farbfotografien.
Darauf zu sehen ist eine gedrungene, zerlöcherte Schiessfigur, die auf einem Feld steht. Durch die Einschusslöcher scheint die Morgensonne. «Das Ganze hatte eine Schönheit und gleichzeitig eine grosse Ambivalenz von Tod und Gewalt. Das hat mich fasziniert und nicht mehr losgelassen», erzählt die kleine, aufrechte Frau mit den rot-gefärbten Haar.
Tore stehen nicht einfach offen
Vor sechs Jahren begann sie dann ihre Reise, die ihr Geduld und Hartnäckigkeit abverlangte. Denn: Die Tore zu militärischen Übungsgeländen stehen nicht einfach so offen. In den Emiraten wartete die Fotografin vier, in Russland zwei Jahre auf eine Bewilligung. Man habe sich gewundert, dass sie sich für die Schiessziele interessiert habe und nicht für die Action, erzählt Koelbl.
Warum also «nur» die Zielscheiben? Koelbl, die mit Ausdauer hinter die Fassaden schaut und einem Thema auf den Grund geht, ist überzeugt: Wer auf Zielscheiben zielt und abdrückt, übt in letzter Konsequenz das Töten. Für das Töten braucht es einen Feind. So sind auf den Zielscheiben dieser Welt, je nach Land und Region, ganz unterschiedliche Feindbilder abgebildet.
Zielscheiben sind rassistischer geworden
Koelbl beobachtete, dass die Zielscheiben rassistischer geworden sind. Es ist der dunkelhäutige Mann, der die blonde Frau bedroht. Die geopolitische Lage verändert die Feindbilder. «Früher waren die Sowjets die Feinde, heute ist es der orientalisch aussehende Mann», sagt Herlinde Koelbl.
In ihrer fotografischen Recherche fördert Koelbl auch Unterschiede zu Tage: Befreiungsbewegungen wie die PKK oder die Polisario in Algerien-Westsahara verwenden einfache, von Hand gemalte Zielscheiben, während die US-Armee sogar Designer aus Hollywood aufgeboten hat.
Die lebenden Soldaten sind die Ziele
In ihrer Langzeitstudie zeigt die Fotografin auch, dass die Technik Einfluss hat auf die Zielscheiben. Wenn auf den Schiessplätzen mit modernen Simulationssystemen trainiert wird, schiessen die Soldaten nicht mehr auf Blech- oder Pappfiguren sondern auf Menschen.
Der Feind, die Waffe und der Soldat sind mit Sensoren versehen und elektronisch vernetzt. Das hat Herlinde Koelbl am Anfang sehr irritiert. «Aber dann habe ich mir gedacht: natürlich, in letzter Konsequenz sind immer die lebenden Soldaten die Ziele», fügt die Fotografin an.
«Targets» ist – mit den Fotografien, den Hörstationen mit den Interviews mit den Soldaten und der Filminstallation – ein eindrückliches, einmaliges Dokument. Aufgrund der politischen Veränderungen könnte Herlinde Koelbl die Truppenübungsplätze in der Ukraine, in Russland oder den Emiraten heute nicht mehr besuchen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Passage, 10.2.2017, 20 Uhr