Aus einem Schwimmbecken starrt eine riesige, aufblasbare Schildkröte. Keine freundliche, sondern eine skurrile und gruselige, sattgrün mit knallroter Mütze.
Gleich das erste Bild im Genfer Centre de la photographie katapultiert die Besuchenden mitten in das künstlerische Schaffen von Debi Cornwall. Sie zeigt unerwartete, irritierende Orte der Militärbasis Guantánamo.
Metaphern für das Versteckte
Beim genauen Betrachten merkt man, irgendetwas stimmt hier nicht. Das Schwimmbecken ist eingezäunt, der Zaun viel zu hoch für einen normalen Gartenzaun.
«Bei einem permanent kontrollierten Blick findet sie Metaphern für etwas, das man eigentlich nicht zeigen wollte», sagt Museumsdirektor Jörg Bader zur Vorgehensweise von Cornwall.
Die Kunst entsteht im Kopf
Die Künstlerin durfte keine Gefangenenzellen sehen, schon gar nicht Folterkammern. Sie durfte nur fotografieren, wo die stationierten Soldaten ihre Freizeit verbringen. Also am Schwimmbad, im Bingo-Saal oder auf dem Football-Feld. In ihren Bildern sieht man den Horror nicht. Aber man ahnt ihn.
Auf der Fotografie eines Tonstudios etwa, die den Übungsraum einer Band zeigen könnte, sind Wände mit schalldämpfendem Schaumstoff und Lautsprecherboxen zu sehen.
«In Guantánamo wurde mit Ton gefoltert. 24 Stunden lang. Bei diesem Bild denkt man eher an eine Foltertonkammer, als einen Übungsraum», sagt Bader. «Die Kunst von Cornwall besteht gerade darin, Orte zu zeigen, die nicht die Orte der Gewalt sind, die man aber assoziativ mit Guantánamo verbindet.»
Eine Reisebroschüre, aber nur fast
Die knalligen und intensiven Farben auf den Aufnahmen bilden einen Kontrast zu den dunklen Abgründen der Vorkommnisse in Guantánamo. Manche Bilder erinnern an eine Reisebroschüre: weisser Sandstrand, türkisfarbenes Meer, karibisches Sonnenlicht. Im Vordergrund stehen aber keine Touristen, sondern drei Soldaten. Sie wurden von hinten fotografiert, so wie alle Personen auf Cornwalls Bildern.
Gefängnis unter offenem Himmel
Auch die 14 ehemaligen Gefangenen, die sie in ihrer neuen Umgebung aufgesucht hat: ein Chinese in Albanien, ein Usbeke in Irland, ein Tunesier in der Slowakei, ein Australier in Ägypten.
Auf diesen Aufnahmen sind die Farben düsterer, gedämmter. «Wenn Cornwall diese Männer draussen in der Landschaft fotografiert, wo sie heute leben, ist das wie ein Gefängnis unter offenem Himmel», meint Bader. «Diese Leute werden in ein beliebiges Land geschickt und haben keinerlei Verbindung zu diesem Ort. Sie können das Land aber auch nicht verlassen.»
«Gift Shop» in Guantánamo
Auch die schlimmen Erinnerungen lassen sich nur erahnen, die diese Männer aus Guantánamo mitgenommen haben. Als wäre dies nicht schrecklich genug, sind die Aufnahmen der Souvenirs für die Soldaten an Zynismus kaum zu übertreffen.
Wie in einem Ferienort gibt es in Guantánamo einen «Gift Shop». Verkauft werden dort ein blaues Kinder-T-Shirt mit der Aufschrift «I love Guantánamo», eine typische amerikanische Kaffeetasse oder Kuscheltiere mit dem Aufdruck «Guantánamo Bay».
Debi Cornwall sagt – mit einer subtilen Mischung aus schwarzem Humor und Empathie – mit ihren Bildern mehr aus, als von Guantánamo gezeigt werden wollte.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 27.03.2017, 16.50 Uhr