Die Ausstellung ist klein. Nur einen Raum nehmen die 15 Werke ein, die unter dem Namen «Fake News» gezeigt werden. Aber die Wirkung und Aussagekraft ist umso grösser.
Bisher hat es das kaum gegeben: Dass ein Museum so offenherzig über die eigenen Fehlleistungen punkto Fälschungen an die Öffentlichkeit tritt.
Mit der Ausstellung begibt sich das Museum auf schwieriges Terrain. Denn es stellt die Daseinsberechtigung von Kunstmuseen infrage, die von der Aura des Originals leben.
Ja, es habe anfangs Bedenken gegeben, sagt die Kuratorin und stellvertretende Museumsdirektorin Carina Plath. Schliesslich aber hat das Bedürfnis nach Transparenz und Offenheit gesiegt.
Entstanden ist eine Ausstellung, die zeigt: Fälschung ist nicht gleich Fälschung. Und eine letzte Gewissheit gibt es kaum. Vier Beispiele:
Giacometti: Nicht ganz so schlank wie das Original
Schon immer fand die Restauratorin des Sprengel Museums, irgendwie sei die Figur für Giacomettis Verhältnisse etwas zu dick geraten. Das erzählt Kuratorin Carina Plath.
Heute ist klar, warum das so ist: Noch zu Lebzeiten Alberto Giacomettis entwendeten Assistenten des Künstlers Skulpturen aus dem Atelier in Stampa und brachten sie nach Italien. Dort wurden die Objekte abgeformt und neu gegossen.
Es handelt sich hier also um eine «Surmoulage», einen Abguss nach einer Abformung vom Original. Das erklärt auch die etwas weichere Form der Figur.
Kokoschka: War’s der Schüler?
Bis 1995 erschien der «Blick auf die Jungfrau von Mürren aus» noch im Werkverzeichnis von Oskar Kokoschka. In der neu überarbeiteten Version von 2017 ist das Bild nicht mehr dabei.
Was geschah dazwischen? Aufgetaucht sind unter anderem neue Erkenntnisse über einen Schüler Kokoschkas: Er konnte die Materialien seines Meisters benutzen – und kommt als Fälscher in Frage.
Gestützt wird dieser Verdacht durch eine Stilanalyse. Corina Plath zeigt, wie man den «Blick auf die Jungfrau von Mürren aus» mit einem anderen Landschaftsbild Kokoschkas, «Delphi» von 1956, auf Differenzen hin untersuchen kann: «Die Räume sind unterschiedlich aufgebaut. Beim ‹Blick auf die Jungfrau von Mürren aus› ist es wie ein Hindernislauf: Alles wirkt zweidimensional und nicht in die Tiefe gedacht. Bei ‹Delphi› ist es anders: Man kann mit dem Auge sofort bis zum höchsten Gipfel hochwandern, trotzdem gibt es auch flächige Partien. Damit entsteht eine Spannung, die im anderen Werk nicht vorhanden ist.»
Ganz geklärt ist der Fall aber nicht. Carina Plath möchte darum vom «Blick auf die Jungfrau von Mürren aus» eine Materialanalyse machen lassen.
Modigliani: Ein unrühmlicher Ruf
Gerade noch im letzten Sommer wurde eine Modigliani-Ausstellung in Genua drei Tage vor ihrem Ende geschlossen. Experten hatten darauf hinwiesen, dass von 30 ausgestellten Werken 21 nicht echt waren.
Diese Geschichte ist kein Einzelfall. Amedeo Modigliani ist einer der meist gefälschten Künstler der Kunstgeschichte. Auch der «Frauenkopf», der 1979 von der Landesgalerie ins Sprengel Museum übernommen wurde, war bereits damals als fragliches Werk eingestuft – und hing darum seither im Depot.
Henning: Die erfundene Fälschung
Carl Gerhardt Rudolf, ein Hochschullehrer im Dienst der Stasi und Kunstfälscher: Diese Person ist eine Erfindung des 51-jährigen Künstlers Dirk Dietrich Hennig. Mit nachgemachten Dokumenten erzählt der Hannoveraner akribisch genau die fiktionale Biografie Rudolfs, inklusive dessen «gefälschten» Werke.
Diese «Fälschung» ist in diesem Fall legal, weil es sich um ein Kunstprojekt handelt. Hennigs Projekt wirft einen kritischen Blick auf unsere Art, wie wir Meisterwerke verklären und fragt, was überhaupt ein gefälschtes Original ist – und was eine echte Fälschung.
Mit einer letzten Gewissheit lässt sich nicht alles klären. Sicher ist aber, dass das Museum einen mutigen und vielleicht auch zukunftsweisenden Schritt getan hat. Dass das Sprengel Museum Hannover die Nase im Wind hat, zeigte sich auch letztes Jahr: Der Kunstkritikerverband AICA Deutschland zeichnete das Haus als «Museum des Jahres» aus.