Moa Romanova zeichnet sich mit riesigen Händen und Füssen. Ihre Arme und Beine sind zu lang und zu schwer. Wenn sie ihren Kopf in ihre Hände legt, verschwindet er ganz.
Das tut sie oft, ihren Kopf in die Hände legen. Oft kauert sie auch in einer Ecke auf dem Boden, oder sie liegt zusammengekrümmt auf ihrem Bett.
Man spürt, dass auch die kleinste Bewegung eine ungeheure Anstrengung bedeutet. Und doch bewegt sich dieser unförmige Körper bisweilen erstaunlich anmutig und selbstbewusst über die Seiten von «IdentiKid».
So bringt die Darstellung des Körpers die Spannungen zum Ausdruck, unter denen Moa Romanova leidet: diesen Cocktail aus Depressionen, Panikattacken und plötzlichem Lebenshunger.
Lichtblicke und Tunnelphasen
Hin und wieder taucht ein Talent auf, das die Comicszene im Sturm erobert. Moa Romanova ist so ein Talent: Ihr Debüt «IdentiKid» sorgt für viel Aufsehen und ist bereits in mehrere Sprachen übersetzt worden.
Moa Romanova ist Schwedin, 28-jährig und verarbeitet in «IdentiKid» die Lebenskrise, die sie als Mittzwanzigerin erlebte, also vor gerade einmal drei Jahren.
Sie schildert ihre prekäre Existenz als Studentin und Künstlerin, deren seltenen Lichtblicke – Partys, Drogenkonsum, sexuelle Abenteuer oder eine Kombination davon – von langen Tunnelphasen abgelöst werden.
Hilfe von Tinder-Match
Ihr Leben erfährt eine besonders tiefe Erschütterung, als die Dating-Plattform Tinder sie mit einem «Fernsehpromi, 53-jährig» verbandelt. Moa und der namens- und gesichtslos bleibende Fernsehpromi treffen sich. Aus dieser Affäre entwickelt sich eine eigenartige Fernbeziehung, die es Moa schliesslich ermöglicht, einen Weg aus der Krise zu finden.
«IdentiKid» ist düster und schräg zugleich – und voll von schwarzem Humor. Besonders gelungen sind die Szenen mit Moas lakonischer Therapeutin: «Und schon haben wir wieder eine Minute überlebt», sagt diese einmal. Sie meint es als Ermunterung.
Mit ihrem Galgenhumor und ihrem Hang zu sarkastischer und durchaus selbstkritischer Zuspitzung schafft Romanova die notwendige Distanz, um aus ihren Erfahrungen so etwas wie die Geschichte ihrer Generation zu schälen: Erfolgsdruck, Versagensängste und drohende Burn-outs.
Aber auch die Verpflichtung zum Glücklichsein, die Arbeit als Projekt zur Selbstverwirklichung, die Tyrannei der sozialen Medien und ihre Gnadenlosigkeit vor allem den Jugendlichen gegenüber, die anders ticken. Wie Moa Romanova.
Authentische Kunstwelt
Romanovas Ehrlichkeit ist kompromisslos. Gleichzeitig haftet den Situationen, in die sie gerät, oft etwas Surreales an.
Dieser Widerspruch findet in Romanovas Zeichnungen seine Fortsetzung: Ihr Strich ist klar, die Bildgestaltung jedoch stilisiert, kaum je naturalistisch. Die Hintergründe sind körnig, die sparsam eingesetzten Grün-, Rosa- und Gelbflächen sind unwirklich kühl.
Romanovas Stil erinnert entfernt an die durchgestylten Modezeichnungen der 1980er-Jahre. Allerdings ist ihr Strich viel rauer, expressiver und unterläuft alle klassischen Schönheitsideale.
So entsteht ein spannender Bruch zwischen der klar erzählten, authentischen Geschichte und der grafischen Kunstwelt.
Mit «IdentiKid» legt Moa Romanova nicht nur ein beeindruckendes Debüt vor, sondern hat auch – das beweist ihr Erfolg – einen Nerv der Zeit und ihrer Generation getroffen.