Mit dem Bild «The night raider» gewann Marcio Cabral aus Brasilien beim renommierten Wettbewerb «Wildlife Photographer of the Year» in der Kategorie «Tiere in ihrer Umwelt» den ersten Platz. Nun muss er den Preis zurückgeben – und darf nicht mehr am Wettbewerb teilnehmen.
Ausgestopfter Ameisenbär
Der Ameisenbär auf seinem Siegerbild sei ausgestopft, sind die Preisrichter überzeugt. Durch einen anonymen Tipp erhielten sie den Hinweis, dass beim Besucherzentrum des Nationalparks Emas ein ausgestopfter Ameisenbär stehe, der grosse Ähnlichkeiten mit dem Sujet von Cabral aufweise.
Cabral hingegen beteuert seine Unschuld. Jedoch kann er aber keine anderen Fotos vorweisen, auf denen der Ameisenbär zu sehen ist.
Dies ist kein Einzelfall. Bereits im Jahr 2009 gab es kein Siegerbild beim «Wildlife Photographer of the Year». Dem Fotografen José Luis Rodriguez wurde der Preis für das Bild eines iberischen Wolfes nachträglich aberkannt, da es einen zahmen Wolf zeigt.
Warum setzt man als Fotograf seinen Ruf aufs Spiel mit Fehlinformationen oder sogar dem Fotografieren ausgestopfter Tiere? Der Schweizer Fotograf Michel Roggo kennt die Szene gut. Er war selbst schon in der Endauswahl beim «Wildlife Photographer of the Year».
SRF: Hat Sie diese jüngste Enthüllung bei der Vergabe des «Wildlife Photographer of the Year» überrascht?
Michel Roggo: Nein. Das ist wie im Radsport. Die Verlockung, bei einem so wichtigen Event zu betrügen, ist vielleicht zu gross. Ich behaupte nicht, Marcio Cabral hat beschissen. Aber wenn man die Fotos des ausgestopften Ameisenbärs sieht, sieht es schon nicht gut aus für ihn. Sich einen guten Ruf aufzubauen dauert lange – zerstört ist er schnell. Das ist schade.
Was macht es so verlockend zu betrügen?
«Wildlife Photographer of the Year» ist vergleichbar mit einem Oscar als bester Regisseur in der Filmbranche. Das ist mit Abstand der wichtigste Wettbewerb im Bereich der Naturfotografie.
Ein weiterer Grund ist auch: Ist man in der engen Auswahl, wird man nach London eingeladen. Dort trifft sich die ganze Szene der Naturfotografie, alle wichtigen Personen, Bildredaktoren von National Geographic etc. Man kann Kontakte pflegen, neue knüpfen. Natürlich bringt der Hauptpreis, wie ihn Cabral ja gewann, enorme Publizität.
Wie kontrolliert eine Jury, ob ein Bild echt ist?
Wenn ein Bild in die Endauswahl kommt, muss man eine RAW-Datei schicken – quasi das digitale Negativ der Kamera. Das kann man nicht verändern. Und offenbar konnte Cabral keine RAW-Datei vorweisen, vor und nach dem Moment, als er den Ameisenbär fotografiert hat. Das klingt nach Photoshop-Manipulation. Aber ganz sicher kann man nicht sein.
Sie reichen Ihre Bilder auch immer wieder für Wettbewerbe ein. Wurde auch schon eines angezweifelt?
Meine Arbeit – vor allem die Unterwasserlandschaften – ist wohl zu schräg. An meinem «Freshwater-Projekt» habe ich sieben Jahre gearbeitet. Da sticht nicht ein Einzelbild heraus. Ich bin um die ganze Welt gereist, habe hunderte ähnliche Bilder gemacht. Ich habe nicht versucht, ein spektakuläres Einzelbild zu machen, sondern den Geist von etwas einzufangen. Da besteht gar keine Versuchung zu bescheissen.
Manchmal verstärke ich den Kontrast etwas, aber viel machen kann ich bei meinen Bildern sowieso nicht. Überhaupt finde ich, man sollte bei einem Fotografen immer das Werk als Ganzes beurteilen und nie ein einzelnes Bild.
Wie schlimm ist denn diese Manipulation von Marcio Cabral wirklich?
Es geht vor allem um Fairness gegenüber den anderen Teilnehmern. Darum gibt es ja auch ein Dopingreglement im Sport. Zu Recht ist der Fotograf, der den zweiten Platz gewonnen hat, wütend. Weil sonst hätte er den 1. Platz gewonnen – das wäre ein Karrieresprung gewesen, Einladungen zu Vorträgen, Aufträge etc.
Ich habe das selbst erlebt: Als ich in einer Kategorie nominiert war, wurde ich danach an viele Vorträge eingeladen. Der Hauptpreis ist natürlich nochmals eine Stufe höher.
Digitale Manipulation mit Photoshop ist das eine, aber man liest auch immer wieder von direkter Manipulation mit den Tieren – Insekten werden angeklebt, durch Einfrieren verlangsamt. Wie weit geht man als Tierfotograf?
Früher war es gang und gäbe, einen ausgestopften Auerhahn im Morgennebel auf der Waldlichtung zu fotografieren. Wahrscheinlich gibt es noch viele Kalender mit diesem Bild. Ein weiterer Trick ist natürlich auch, die Tiere mit Nahrung anzulocken. Zum Beispiel Bärenfotos aus Finnland entstanden meist so.
Ist denn das Anlocken von Tieren schon Betrug?
Wichtig ist einfach, dass man alles genau deklariert. Vor 20 Jahren habe ich hin- und wieder den Luchs im Dählhölzli fotografiert. Das war deklariert als «captive», als gefangenes Tier. So ist es kein Problem. Aber wenn ich sage, ich habe diesen Luchs in den Alpen fotografiert, stimmt es einfach nicht. Das sind zwei verschiedene Dinge.
Und wenn man so die Chance hat, zum Beispiel ein seltenes Tier zu fotografieren?
Ich werde im Pantanal in Brasilien immer wieder gefragt, ob ich die Anakonda fotografieren möchte. Ich lehne immer ab. Man zahlt 1000 Dollar, wird zum Fluss gebracht. Dann wird man auf das Boot gesetzt und irgendwo unten im Wasser ist sie dann.
Das interessiert mich nicht. Diese Fotos existieren ja alle schon zigfach. Ich will doch nicht genau das Gleiche nochmals fotografieren. Lieber schnorchle ich stundenlang in den Flüssen rum und wenn es der Zufall will, treffe ich eine Anakonda.
Aber etwas Schlechtes tut man damit auch nicht, oder?
Es geht nicht nur um Ehrlichkeit. Die Inszenierung stört die Tiere. Die vorher erwähnten, ausgestopften Auerhähne wurden zum Beispiel oft auf bekannten Balzplätzen aufgestellt. Das hat dazu geführt, dass sich die echten Auerhähne nicht mehr gepaart haben und an einigen Orten ausgestorben sind.
Auch gewöhnen sich Tiere daran, gefüttert zu werden. Rund um die Lodges in Afrika hat man kaum eine Chance, ein natürliches Bild zu machen – die Tiere werden ja für die Touristen dahin gelockt.
Zeigt uns die Naturfotografie überhaupt die wahre Natur?
Natürlich ist Fotografie immer auch Selektion. Der Fotograf nimmt seine Umwelt in drei Dimensionen wahr: Gerüche, Temperatur, Geräusche. Und das presst er anschliessend in ein Rechteck, das den Geist des Ortes einfängt. Klar: natürlich stellt man instinktiv den schönen Ort dar, schaut, dass die Hochspannungsleitung oder der Kondensstreifen des Flugzeugs nicht auf dem Bild ist.
Man versucht, die heile Welt darzustellen im Wissen, dass es sie praktisch nicht mehr gibt. Eine Welt ohne menschlichen Einfluss. Die Sehnsucht nach dem Garten Eden, nach dem Paradies – die gibt es. Und der Naturfotograf versucht diese ein bisschen zu befriedigen.
Das Interview führte Tom Hägler.