Frank und Patrik Riklin sind Zwillingsbrüder und Meister der schlauen Inszenierung. Sie schlagen aus ihren subversiven Projekten gerade dann Kapital, wenn sie zu scheitern drohen. Das Kokettieren mit dem «worst case» ist bei den beiden Konzeptkünstlern Programm.
Letzten Sommer haben sie vor dem Kloster St. Gallen ihre eigenen zehn Gebote formuliert und von Hand in Sandstein gemeisselt. Die Steinplatten wurden in Zürich versenkt und mussten auf Geheiss der Stadt umgehend aus dem Fluss entfernt werden. Als Grund wurde der Gewässerschutz genannt.
Seither fristeten die Gebotstafeln ihr Dasein in einem Keller im Zürcher Kreis 5, von wo aus sie jetzt zu einer zehntägigen Wanderung aufbrechen. Muskelkräftig unterstützt durch freiwillige Verbündete schieben die Riklins diese je 100 Kilogramm schweren Tafeln auf sonnengelben, klimaschonenden Sackkarren von Zürich nach Bern. Man könnte das als hirnrissig bezeichnen, ganz bestimmt aber ist es eine Aktion, die zwischen Niederrohrdorf und Hindelbank für einiges Aufsehen sorgen wird.
Zehn Personen, eine Tonne Sandstein
Die Etappen sind durchschnittlich 15 Kilometer lang, führen durch vier Kantone und streifen Gemeinden, die nicht jeden Tag in den Genuss von Kunstaktionen kommen. Daneben gilt es Höhenmeter zu bezwingen und eine tatkräftige Komplizenschaft zu mobilisieren.
Mindestens zehn Personen pro Tag braucht es, um den Transport zu gewährleisten. Mehr wären aber vorteilhaft, denn eine Tonne Sandstein zu verschieben ist ein wahrer Kraftakt. Zumal die gelben Sackkarren zwar sportlich aussehen, ihre Räder aber wenig tauglich für holpriges Gelände sind.
Eine Pilgerreise mit Präsenz im Netz
«Es ist eine Art Zeremonie, die unterwegs von Zürich nach Bern möglichst viele Menschen ansprechen soll», sagt Nico Gurtner vom Museum für Kommunikation Bern, wo das gewichtige Kunstwerk am Schluss Asyl findet. Es sieht ganz so aus, als liessen sich Mitstreitende finden. Am ersten Tag der kollektiven Verschiebung versammelt sich ein gutes Dutzend Schieberinnen und Schieber am Start, der Jüngste ist gerade mal zwölf Jahre alt.
Mindestens so wichtig wie die neoidyllische Pilgerreise ist deren Präsenz im Netz. Während die Sandsteintafeln auf den zehn Karren festgebunden, die Sonnenhüte gerichtet und die Rucksäcke geschultert werden, läuft parallel die Koordination der Aktivitäten auf den Sozialen Medien (Facebook / Instagram). Wenig später sind das beschwerliche Bergen der Sandsteinplatten aus dem Keller und der Startschuss zur ersten Wanderetappe bereits online.
Die zehn Gebote nach den Gebrüdern Riklin
Mit den zehn Geboten aus der Bibel hat die Aktion nichts zu tun. Die Tafeln sind in Englisch graviert und formulieren das, was die Brüder Riklin «die DNA, die Essenz unserer künstlerischen Arbeit» nennen. Auf einer Tafel steht «Breche ein, damit andere ausbrechen können», auf einer anderen «Suche nicht nach Kunden, finde Komplizen».
Es geht den beiden im Kern um die Einstellung, die zu bewusstem Handeln führt. Die Gebotstafeln in Kombination mit dem durch und durch analogen Fussmarsch ergeben so etwas wie eine spirituelle Kalibrierung.
Eine Tonne Halt für die Gesellschaft
Mit ihrer schwergewichtigen Aktion zwischen der Wirtschaftsmetropole Zürich und der Bundeshauptstadt wollen die Riklins einen sichtbaren Akzent setzen. Sie versprechen sich Halt für eine Gesellschaft, die sich mitten im Wandel, zwischen wankenden Wertesystemen und Orientierungslosigkeit befindet.
Welchen Menschen die schwitzende und sich täglich neu zusammensetzende Truppe unterwegs begegnet, ob die Einladung zur Reflexion, zum Gespräch oder Mitwandern angenommen wird, all das lässt sich nicht planen. Die Aktion ist ergebnisoffen und lebt davon, wer wieviel Energie mit reinsteckt.
Es könne auch sein, meinen die Brüder Riklin mit einem ironischen Grinsen, dass sie am Ende allein mit der Tonne Sandstein in Bern ankommen. Auch das wäre ein Erfolg und ganz in ihrem Sinne.