Bekleidungsregeln für Machthabende sind äusserst langlebig. Bis heute zeigen männliche Politiker sich meist im Anzug. Vorzugsweise in gedeckten Farben. Das ist seit dem 19. Jahrhundert die Uniform der Seriosität.
Wer aus diesem Kleiderkanon aussteigt, tut das, um ein Zeichen zu setzen. Barack Obama gibt im Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln den nahbaren Kumpel. Wladimir Putin posiert oben ohne als unnahbarer Macho. Und Wolodymyr Selenskyj ist im khakifarbenen T-Shirt der volksnahe Macher in schlimmen Zeiten.
Freizeit-Look oder Bekenntnis?
Und was signalisiert Sergej Lawrow mit seinem, offenbar schon häufiger getragenen, blauen T-Shirt mit einem Motiv des Graffiti-Künstlers Basquiat? Markiert er den lässigen Freizeit-Typ? Die Kulisse passt dazu: eine von Palmen umsäumte Terrasse auf Bali. Das sieht nach Entspannung aus.
Doch zurück zum T-Shirt: Trägt der russische Politiker das Shirt so, wie Metal-Fans Motörhead T-Shirts tragen? Also: Bekennerhaft? Ist der russische Aussenminister etwa ein Fan von Jean Michel Basquiat – dem ersten afroamerikanischen Künstler, der in den 1980er Jahren in der weissen Kunstwelt den Durchbruch schaffte? Verehrt Lawrow Basquiat für seine kühne expressive Kunst und seine antiimperialistische Haltung? Oder sogar für seine offen gelebte Queerness?
Oder trägt Lawrow sein Basquiat-T-Shirt so, wie andere Menschen Pullis mit den Logos US-amerikanischer Universitäten tragen? Also eher naiv? Träumt der russische Aussenminister heimlich vom American Way of Life? Und wenn ja, was stellt er sich darunter vor? Big Macs essend unter Palmen liegen und auf dem iPhone Minecraft spielen?
Die Krone auf der Brust
Vielleicht haben Kommentatorinnen recht, die in Lawrows Kleiderwahl ein verstecktes Bekenntnis zur Ukraine ausmachen. Denn auf dem blauen T-Shirt prangt ein gelbes Motiv: die Farbkombination der ukrainischen Flagge.
Interessant ist allerdings auch der Aufdruck selbst: Eine Krone. Träumt Lawrow sich womöglich zurück ins zaristische Russland? Oder hält er Putin für den neuen Zar? Wäre er am Ende gar selbst gern ein gekröntes Haupt?
Vielleicht ist auch alles ganz anders und Lawrow möchte nur sagen: In meiner Freizeit trage ich, was ich will und denke gar nicht daran, was andere meinen, was ich mit meinem T-Shirt sagen könnte.