21 Jahre jung ist Kate Beaton, als sie 2005 ihr Studium mit einem Diplom und 40'000 Dollar Schulden an Studienkrediten beendet, die sie möglichst rasch abzahlen will. Sie hört von gut bezahlten Jobs in der kanadischen Ölindustrie und macht sich aus der wirtschaftlich abgehängten Provinz Nova Scotia im Osten Kanadas in die abgelegenen Ölfelder im Norden auf.
Der erste Eindruck ist apokalyptisch: Türme, Schlote, Flammen, Schuttberge, morastige Tümpel, titanische Maschinen. Dazwischen ein Dorf aus Lagerräumen, Werkstätten und billigen Fertighäusern für die Angestellten. Eine seelenlose Umgebung. Hier geht es nur um Arbeit und Ausbeutung. Ausbeutung der natürlichen, aber auch der menschlichen Ressourcen.
Keine Angst, viel Feminismus
Die kanadische Comicautorin Kate Beaton machte sich einen Namen mit satirischen Webcomics, die auf Deutsch in Büchern wie «Obacht! Lumpenpack» veröffentlicht wurden. Darin zieht sie aus einer dezidiert feministischen Haltung und mit respektlosem Humor über grosse männliche, aber auch weibliche Namen aus Literatur und Geschichte her.
Ganz anders «Ducks. Zwei Jahre in den Ölsanden»: In dieser autobiografischen Graphic Novel setzt sich Beaton auf 450 Seiten mit ihren Erfahrungen in der kanadischen Ölindustrie auseinander. Damit landete sie einen Bestseller, dessen Lektüre auch Barack Obama empfahl.
Das Umfeld ist toxisch. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen beträgt etwa 50:1. Ihr Geschlecht macht die 21-Jährige zur Attraktion und zum Objekt. So stehen die Männer an Beatons erstem Arbeitstag in der Werkzeugausgabe Schlange. Sie wollen einen Blick auf «die Neue» erhaschen.
Das ist unangenehm, aber doch deutlich harmloser als die Männer, die in der Nacht an ihrer Türklinke rütteln oder vorgeben, sie flachgelegt zu haben. Sexuelle Belästigung gehört zum Alltag, das Risiko von Übergriffen ist permanent da.
Kate Beaton entwickelt eine beeindruckende Anpassungsfähigkeit und Resilienz, um in dieser rauen Arbeitswelt fernab der Zivilisation zu bestehen. Sie erzählt von harter Arbeit und Unfällen, Langeweile, Drogen und Alkohol, Misstrauen, Gewalt und Übergriffen, Isolation, Einsamkeit und Lagerkoller. Aber auch von berührenden Momenten der Kameradschaft und Empathie.
Giftstoffe in Erde, Wasser und Luft
Nur am Rand spricht Beaton die Umweltschäden an, die der Abbau der ölhaltigen Erde bewirkt: Wälder und Tiere sterben. Die Sorgen der First-Nation-Stämme über Giftstoffe in Wasser und Luft werden ignoriert.
Damals war Kate Beaton zu sehr mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt, um ein Bewusstsein für die grösseren Zusammenhänge zu entwickeln.
Angesichts Beatons haarsträubender Erfahrungen wäre es ein Leichtes gewesen, diese Welt satirisch zu karikieren. Aber das tut Beaton gerade nicht. Mit wenigen Strichen und Wörtern erfasst sie die Persönlichkeit der Menschen, mit denen sie zu tun hat – schonungslos, aber mit Sensibilität, Respekt, Humor und sogar mit Verständnis.
Egal, aus welchen Gründen diese Männer in der Ölindustrie schuften und wie sie sich ihr gegenüber verhalten: Auch sie sind – bis zu einem gewissen Punkt – Opfer von Big Oil. Dieser differenzierte Blick macht aus «Ducks» die schonungslose Studie einer archaischen Männerwelt in einer geografisch wie industriell extremen Situation.