Venice Beach in Kalifornien: Vier grosse Objekte bewegen sich über den Sand. Sie sehen aus wie eine Mischung aus Barbapapa- und Schachfiguren. Aus einem der Objekte schaut die Künstlerin Heidi Bucher (1926-1993) heraus. Ein andermal sieht man ihren Mann Carl Bucher.
Der Film entstand 1972. Ein Reisestipendium für Carl Bucher ermöglichte dem anerkannten Bildhauer, seiner Frau und ihren Söhnen einen Aufenthalt in den USA. Auch Heidi Bucher war Künstlerin. Aber sie stand lange im Schatten ihres Mannes.
Kreativ, gut vernetzt – und plötzlich Mama
Geboren 1926 in Winterthur, hatte Heidi Bucher zunächst Damenschneiderin gelernt und danach an der Kunstgewerbeschule Zürich bei Johannes Itten, Max Bill und Elsie Giauque studiert. Nach ihrer Ausbildung folgten Aufenthalte in Paris, Hamburg, London und New York. Die junge Künstlerin war aktiv, gut vernetzt und stellte in renommierten Galerien aus.
1960 zog sie nach Zürich und heiratete den Bildhauer Carl Bucher. Das Paar bekam zwei Kinder. Heidi Bucher zog sich auf die Rolle der Mutter und Unterstützerin zurück. Vielen Künstlerinnen ihrer Generation erging es ähnlich.
Neue Bewegungsräume ermöglichen
Der Aufenthalt in den USA zu Beginn der 1970er-Jahre war für Heidi Bucher ein Befreiungsschlag: In Kalifornien atmete sie eine leichtere Luft als in der Schweiz. Die Hippiekultur erzeugte einen prickelnden Mix aus Auflehnung gegen das Alte und optimistischer Begeisterung für Neues. Heidi Bucher liess sich von dieser Stimmung beflügeln und erschuf tragbare Skulpturen aus Schaumstoff, die sie «Bodyshells» nannte.
Das Revolutionäre an diesen Bodyshells war, dass man sie wie Kleider überstülpen konnte. Heidi Bucher habe den Begriff der Skulptur neu gedacht, sagt Kathleen Bühler, Kuratorin im Kunstmuseum Bern: «Skulpturen mussten nicht länger aus Marmor, Holz oder Bronze sein.» Mithilfe der Bodyshells konnte man den eigenen Körper auf eine neue Art denken. Sich anders bewegen, als man es von den gutbürgerlichen Eltern gelernt hatte.
In der Schweiz lange ignoriert
Die Bodyshells waren progressiv – offenbar zu progressiv für die Schweiz der frühen 1970er-Jahre. Die weichen Skulpturen wurden im Lauf der Jahre zerstört. Immer wieder stiess Heidi Bucher mit ihrer Kunst auf Ignoranz.
Diese Nicht-Achtung hielt lange an. Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern ist die erste grössere Schau auf Schweizer Boden seit 2004. Und sie wurde zuerst in München gezeigt.
1973 kehrte Heidi Bucher in die Schweiz zurück. Sie trennte sich von ihrem Mann und begann, mit Latex Abdrücke von Räumen, Objekten, Kleidern zu erschaffen. Das Verfahren wurde von Archäologen entwickelt. Heidi Bucher war die erste, die es in der Kunst anwandte, erzählt Kathleen Bühler.
Skulpturen, die mit Konventionen brechen
Archäologen verwenden Latex-Abdrücke, um fragile Objekte untersuchen zu können, ohne sie immer wieder berühren zu müssen. Heidi Bucher nahm Abdrücke, um die Geschichte der Objekte reflektieren zu können: den Bewegungsraum, den sie vorgeben, die Denk- und Verhaltensmuster, die damit verbunden sind.
Die ersten dieser «Raumhäute» entstanden im Herrenzimmer ihres Elternhauses – einem Raum, der klar mit konservativen Rollenbildern verbunden war. Ihr Vater war ein erfolgreicher Ingenieur und Freizeit-Jäger. Die Mutter kümmerte sich um Haus und Familie.
Mit ihren Latex-Abdrücken hat Heidi Bucher ganze Räume in die Kunst überführt, in denen sich bestimmte gesellschaftliche Normen und Konventionen spiegeln. Das Herrenzimmer in der elterlichen Villa, ehemalige Gefängniszellen, Psychiatriestationen. Sie hat die festgemauerten Räume in einem weichen, flexiblen Material festgehalten, sagt Kuratorin Kathleen Bühler, und so gezeigt, «dass man die Verhältnisse in Bewegung bringen kann.»