Am Anfang ist Verblüffung. Sabine Flaschberger öffnet eine Kiste im Archiv der Kunstgewerbesammlung des Museums für Gestaltung Zürich – und staunt: «Da kommt ein Kragen hervor mit Gold-Stickerei und einem Knebelverschluss aus Filz», sagt die Kuratorin. «Man denkt sich: Was ist das überhaupt?»
Bald sieht sie einen Ledergürtel, der bedruckt ist, als wäre er aus Pelz. Sie entdeckt bemalte, bestickte Stoffe. Ihr ist rasch klar: Diese Familiengeschichte will sie aufarbeiten.
Eine frühe Geschäftsfrau
Bis Sabine Flaschberger die Kisten mit dem Nachlass des Ateliers Zanolli öffnen kann, haben sie bereits eine weite Reise hinter sich. Erst sind sie im Sozialarchiv Zürich, dort interessiert man sich naturgemäss nur für die Notizen, Dokumente über Handelsmöglichkeiten und Fotos. Die ungeöffneten Kisten mit den Objekten wandern daraufhin durch mehrere Abteilungen des Museums für Gestaltung.
Eine weite Reise hat auch die Familie Zanolli hinter sich, als sie 1905 in Zürich ankommt. 18 Stunden hat die Fahrt von Belluno aus der Region Veneto gedauert. Mutter Antonietta, eine Damenschneiderin, beweist bereits ihren Geschäftssinn: Statt Koffer nehmen sie, ihr Mann und die drei Töchter Reisebündel mit, die an den Enden zugezogen werden können wie ein Bonbon.
«Sie wurden gefüllt mit Kleidern, die die Mutter über Wochen und Monate genäht hat», erzählt Sabine Flaschberger. Dies sei das Startkapital für den Neuanfang in Zürich gewesen. Damit hat das Familienunternehmen bereits Waren, die es in der neuen Heimat vermarkten kann, bis es Neues produziert.
Die Familie zieht an einem Strang
Nebst Mutter Antonietta Zanolli steigt auch Vater Enrico, ein Wagner, mit Holz- und Lederarbeiten ins Familienunternehmen ein. Die drei Töchter arbeiten ebenfalls mit. Sie sind künstlerisch begabt, tanzen, spielen Theater und malen.
Lea, die mittlere, geht auf die Kunstgewerbeschule. Von ihr stammen wohl die meisten Designs. Auch der Sohn, der erst in Zürich zur Welt kommt, arbeitet im Lauf der Zeit im Atelier Zanolli mit.
Ihre Objekte sind verspielt und überaus farbig. Hier eine knallgrüne Ledertasche mit einem Pferdekopfmedaillon. Dort grasen Rehe, mit Airbrush-Technik auf Seide gesprüht.
Im Museum für Gestaltung Zürich liegt ein besticktes Kissen der Zanollis neben einem von Sophie Täuber-Arp. Es erzählt davon, dass die renommierte Künstlerin an der Zürcher Kunstgewerbeschule unterrichtet, als die mittlere Tochter Lea dort Schülerin ist.
Ein frühes Zürcher Start-up
Die Opulenz der Objekte veranschaulicht das kreative Universum der Zanollis. Sie designen im Stil der damaligen Zeit, im Sinne des Expressionismus und Konstruktivismus. Dazu benutzen sie innovative Techniken. «Die Familie ist eigentlich ein frühes Start-up-Unternehmen», sagt Kuratorin Sabine Flaschberger.
Ein eigenes Geschäft hatten die Zanollis nicht. Erhalten ist ein Hausierer-Patent und dass sie einige Produkte an Zürcher Warenhäuser geliefert haben. Den unternehmerischen Erfolg bezeugen Produktions-Filialen in Engelberg und Lugano.
1939 endet die Geschichte des Ateliers Zanolli. Wohl wegen des Krieges. Die Familie zieht bis nach dessen Ende vorübergehend nach Italien. Zur Produktion findet sie nicht mehr zurück.
Was bleibt, sind ihre Objekte im Museum. «Sie machen die Kultur einer Epoche greifbar», sagt Sabine Flaschberger. Die Tabak-Schmuckdosen, Krawattenetuis und Telefonbucheinbände sind nunmehr Zeitzeugen einer verschwundenen Welt.