Die Filmsequenz von 1896 gleicht einem regelrechten Durcheinander: Dutzende von Menschen laufen durchs Bild, ziehen die Hüte, schütteln die Hände oder wechseln ein paar Worte.
Plötzlich schreitet von links ein bärtiger Mann mit Melone ins Bild. Er bleibt stehen und blickt in die Kamera: Es ist Ferdinand Hodler, der bekannteste Schweizer Maler des 19. Jahrhunderts.
Akribische Recherche
Entdeckt hat dies der Filmhistoriker Hansmartin Siegrist. Um sicher zu gehen, dass es tatsächlich Hodler ist, brauchte Siegrist stichhaltige Beweise: Dafür hat er unzählige Fotografien von Hodler mit der Filmsequenz verglichen. «Wir haben Augen- und Ohrenabstände gemessen. Wir mussten auch überprüfen, ob Hodler an dieser Eröffnungsfeier, bei der der Film entstand, tatsächlich an der Landesausstellung war.»
Hodler war dort. Zu diesem Schluss kommt auch das Archiv Jura Brüschweiler. Das grösste private Schweizer Archiv rund um Ferdinand Hodler hat mitgeholfen, die These des Filmhistorikers zu beweisen.
Erkenntnis dank Notizbuch
Hodler sei für die Landesausstellung eine zentrale Figur gewesen. «Er hat zum Beispiel einen Pavillon mitgestaltet», erklärt Diana Blome, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Archivs. Mit Hodlers Notizen liesse sich belegen, dass er an diesem Tag vor Ort war.
Er war in Begleitung etlicher Künstlerkollegen, die ebenfalls im Film zu sehen seien: «Hodler beschreibt und zeichnet in den Notizen die gleichen Szenen, die im Film zu sehen sind.»
Der Maler, der sich für Fotografie interessierte
«Die Filmaufnahmen vervollständigen das Bild, das wir heute von Ferdinand Hodler haben», sagt Diana Blome weiter. «Er war einer jener Künstler, die sich sehr für Fotografie interessierten. Jetzt wissen wir auch, dass er das damals junge Medium Film schon kannte. Und wir wissen, wie er sich bewegt und in Szene gesetzt hat.»
Hodler-Jubiläum im Jahr 2018
Es hätte kaum einen besseren Zeitpunkt für das Auftauchen des Filmmaterials geben können. 2018 gilt als das Jahr von Hodler. Vor exakt 100 Jahren ist er gestorben.
In Bern und in der Genferseeregion sind mehrere Ausstellungen dem Künstler gewidmet. Hodler wuchs in armen Verhältnissen in Thun auf. Später wurde er in Genf als Maler bekannt und kam zu materiellem Wohlstand.
Zufälliger Fund
Dass der Filmhistoriker Hansmartin Siegrist auf die Aufnahmen gestossen ist, verdankt er einem Zufall. Ursprünglich arbeitete er an einem ganz anderen Film: An einer kurzen Sequenz der Mittleren Brücke in Basel von 1896.
Der Produzent dieses Basler Brückenfilms war ein Waadtländer Unternehmer und Filmpionier. Als Siegrist weiteres Material desselben Waadtländer Filmpioniers aus dem gleichen Jahr sichtet, stösst er auf die Aufnahmen der Landesausstellung. Und damit auch auf Ferdinand Hodler.