Über eine reale Figur einen abendfüllenden Film zu machen, der nicht nur dokumentarisch daherkommt, sondern mittels nachgestellter Szenen eine neue Plastizität erreichen möchte: Das darf durchaus als Experiment bezeichnet werden.
Gerade im Fall des umstrittenen österreichischen Expressionisten Oskar Kokoschka (1886 - 1980), der schon im adoleszenten Alter als «Oberwilder» bezeichnet wurde und in kein Schema passt.
Der Westschweizer Filmemacher Michel Rodde hat es sich nicht leicht gemacht und wagt einen neuen Zugang. Einerseits protokolliert er geschickt viele wichtige Etappen in Kokoschkas Leben und verwebt sie eindrücklich mit authentischem Bildmaterial.
Andererseits schafft er eine neue Dimension, indem er einen erzählerischen Kniff anwendet: Rodde stellt der in der Ich-Form erzählenden Hauptperson Kokoschka eine beobachtende und kommentierende Aussensicht gegenüber.
Wandlungsfreudige Gegenfigur
Gespielt und interpretiert durch die wandlungsfreudige Schauspielerin Aurélia Lüscher schafft er so eine Antipode, die sich am Menschen Kokoschka reiben und abarbeiten kann.
Einmal begleitet sie ihn in den ersten Weltkrieg, als er schwer verwundet wird. Ein anderes Mal wird sie zur umsichtigen und toleranten Haushälterin «Reserl».
Ein drittes Mal zeigt sie sich als Aktmodell in Kokoschkas «Schule des Sehens».
Dass Rodde der Versuchung widerstand, seine Protagonistin auch als Liebespartnerin des Künstlers einzusetzen, ist ihm hoch anzurechnen.
So entkommt er der Gefahr, auch selbst in den Strudel der emotionalen Verwirrung zu geraten, in dem Kokoschka bei Frauen bisweilen steckte.
Gerade die aufreibende und gescheiterte Beziehung zu Alma Mahler kann so als pittoreske Schmonzette eines vielseitigen Lebens abgehakt werden.
Für den interessierten Betrachter von Kokoschkas Schaffen liefert der Film die Hintergründe und das Rüstzeug, um besser begreifen zu können, was der Künstler unter der «Bewusstwerdung des Sehens» verstand.