«We are the Price» – «Wir sind der Preis» ist der Titel einer Kohlezeichnung des ukrainischen Künstlers Nikita Kadan. Zu sehen sind die vier Worte in schwarzen Druckbuchstaben vor dem Hintergrund eines grauen Wolkenhimmels.
«Kunst kann helfen, Dinge zu verstehen und klarzustellen», sagt der international renommierte Multimediakünstler. Die Kunst könne die Verwandlungen zeigen, welche die Ukrainer im Laufe des Krieges durchgemacht hätten.
Stress, Verluste, akuter Schlafmangel und die Begrenzung individueller Freiheiten wie beispielsweise die Sperrstunde um Mitternacht oder das Ausreiseverbot für Männer – all das hinterlasse tiefe Spuren.
Die Katastrophe des Krieges
Dunkle, seltsam bewegte Äcker, denen die Schlachtfelder eingeschrieben sind. Das Bild einer Hand, die die Erinnerung an die berühmt gewordene Hand einer flüchtig vergrabenen Frau in Butscha wachruft.
Nikita Kadans Arbeiten drehen sich um Gewalt, Zeugenschaft und Erinnerung. Die Formensprache ist auf ein Minimum reduziert, denn die Dinge sprechen im Krieg für sich selbst. Der Künstler versteht sich als lebendiges Beweisstück für die Katastrophe des Krieges, die die Gesellschaft zwar zusammenschweisst, aber von innen zunehmend aushöhle, sagt Nikita Kadan.
«Wir stecken in einer Situation der Dringlichkeit fest», sagt er nachdenklich, «es klingt paradox, aber wir haben es mit permanenter Dringlichkeit zu tun.» Alles gehorche der Logik des Krieges, da bleibe kein Raum für kritisches Denken, Infragestellungen, Provokationen. «Jeder unpopuläre Gedanke ist in Zeiten des Krieges ein wirklich riskanter Gedanke.»
Der Spielraum wird enger
Als Russland den Krieg im Februar 2022 auf die ganze Ukraine ausweitete, setzte zunächst eine künstlerische Hochproduktion ein. Gleichsam als Widerstand, als Zeugenschaft für den historischen Moment und als Ausdruck eigener Erfahrungen.
Der Krieg begrenzt die Kunst, er duldet keine Ambivalenz, Differenz und Komplexität. Es gibt nur noch Schwarz-Weiss.
Inzwischen wird der Alltag des Krieges jedoch immer beklemmender. Die Dramaturgin Natalia Vorozhbyt klagt über eine zunehmende Verknappung von künstlerischem Spielraum.
«Der Krieg begrenzt die Kunst, er duldet keine Ambivalenz, Differenz und Komplexität. Es gibt nur noch Schwarz-Weiss.»
Auch die allgemeine Erschöpfung nach zwei Jahren Bombenterror ist in der Ukraine inzwischen mit Händen zu greifen. «Wir sind müde», seufzt Vorozhbyt, «und es stellt sich inzwischen die Frage, ob wir jemals zu unserer ursprünglichen Kreativität zurückfinden.»
Was kann Kunst in dieser Situation noch?
Der Schriftsteller Serhij Zhadan, der seit Kriegsbeginn ein hochengagierter, siegessicherer Aktivist war, hat sich gerade zur Front gemeldet. Wozu schreiben, wenn die Verteidigung gegen den Aggressor wackelt?
Es sei eine fragile Realität, die der Kunst allmählich den Atem nehme, sagt Nikita Kadan. Auf einer anderen Kohlezeichnung von ihm steht vor grauem Wolkenhimmel das Wort «Ljudi» – «Menschen». Die Ukrainer haben oft auf Haustüren und Tore «Ljudi» geschrieben, aber die russischen Angreifer haben trotzdem gefeuert.