Das Wichtigste in Kürze:
- Die Künstlerin Marion Balac arbeitet mit verschiedenen Medien: Video, Fotos und Zeichnungen. Oft verwendet sie auch Screenshots.
- Ihr aktuelles Projekt zeigt Bilder aus Google Street View, auf denen Statuen für Menschen gehalten und anonymisiert wurden.
- In einem Film befragt sie Menschen, die neben dem Disneyland bei Paris leben.
Das Internet sei ein grosser Spielplatz, sagt die Künstlerin Marion Balac. Die zunehmende Digitalisierung erweitere diesen Spielplatz immer mehr – auch offline.
Mit einer distanzierten Mischung aus Enthusiasmus und Kritik nähert sich die 32-jährige Pariserin der digitalen Welt: «Ich mag es, mit dem Finger auf etwas zu zeigen, damit sich der Betrachter sein eigenes Bild machen kann.»
Balac arbeitet mit verschiedenen Medien wie Video, Fotografie, Zeichnung, Screenshots und Webseiten. Dabei sammelt sie Daten und Bilder und erarbeitet daraus neue Situationen und Fiktionen.
Mensch und Statue sind gleich vor dem Algorithmus
Die aktuellste Arbeit von Balac heisst «Anonymous Gods» und ist ab dem 5. Mai an den Bieler Fototagen zu sehen: eine Fotoserie von Screenshots, aufgenommen in Google Street View.
Beim Surfen auf Street View sei ihr rein zufällig aufgefallen, dass Google auch die Gesichter von Statuen im öffentlichen Raum unkenntlich macht, erzählt Balac. Der Algorithmus kann also nicht unterscheiden zwischen Gesichtern von echten Menschen und denen kommerzieller oder religiöser Statuen.
Digitaler Entscheid, religiöse Interpretation
Durch die Inszenierung der Screenshots mit diesen anonymisierten Statuen greift Marion Balac viele aktuelle Themen auf: «Es ist interessant, wie gewisse Leute diese Arbeit aus religiöser Perspektive interpretieren. Die Gesichter der Buddha-Statuen sind verdeckt. Im Sinne von: Man soll sich kein Bildnis von Gott machen. Andere wiederum erkennen darin die Frage nach den Algorithmen, der künstlichen Intelligenz und den Fehlern, die diese Maschinen machen können.»
Aufwachsen neben dem Disneyland
Unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten bedient auch ihr Kunstfilm «Les enfants de Val d'Europe». Darin geht Marion Balac der Frage nach, was mit jungen Menschen geschieht, wenn sie direkt neben einer riesigen Touristenattraktion aufwachsen.
Schauplatz ist «Euro Disneyland». Der Vergnügungspark wurde 1992 auf einer riesigen Agrarfläche 35 Kilometer östlich von Paris fertiggestellt. Die Gegend wurde in Val d'Europe, «Tal Europas», umbenannt.
Das Val d'Europe beherbergt heute neben dem Disney-Vergnügungspark eine neu aufgebaute Stadt mit schicken Wohnvierteln, Bürogebäuden, Einkaufszentren und einem eigenen Bahnhof.
Gespaltene Identitäten
«Les enfants de Val d'Europe» zeigt keine Gesichter, keine Attraktionen. Vielmehr bietet der halbstündige Film eine Reise durch oft verlassene Landschaften rund um den Park, verregnete Wohngegenden und Google-Street-View-Collagen.
Als Soundtrack dienen die Aussagen der Anwohner, die über ihr Leben mit Disney reflektieren. Die Menschen dort haben ein ambivalentes Verhältnis zum Disney-Universum. Das wird unmissverständlich spürbar.
Gefangen zwischen Realität und Traumwelt
Einerseits kritisieren die Anwohner den Park, andererseits verteidigen sie ihn bei Kritik von aussen. Als wären ihre Identitäten gefangen zwischen der französischen Realität und der amerikanischen Traumwelt.
Marion Balac geht gesellschaftlichen Themen künstlerisch auf den Grund. Ihre Kunst wirkt im ersten Moment kryptisch. Bei intensiverer Auseinandersetzung offenbaren ihre collageartigen Kunstwerke aber ungewohnte Metaphern und kommentieren leise unseren Zeitgeist.