«Haptik ist alles», erklärt Martin Leuthold. Fummeln ist ausdrücklich erlaubt am Stadtrand von St. Gallen. Dort befindet sich der Sitz der Firma Jakob Schlaepfer. Und dort sitzt auch Textildesigner Leuthold in einem Raum voller Fenster.
Auf Kleiderständern hängt die neue Kollektion, rund 300 Stoffmuster. «Stoffe müssen schmeicheln, überraschen», sagt der Textildesigner. Erklären könne man sie nicht: «Stoffe muss man sehen und berühren.»
Wenn Modemacher wie Vivienne Westwood oder Karl Lagerfeld ihre Kleider schneidern, nutzen sie dazu die Kreationen aus dem Haus Jakob Schlaepfer. Martin Leutholds Textilien sind die Grundlage: federleichte, transparente, mit innovativer Lasertechnologie gravierte oder geschnittene Textilien.
Stoffe aus der Region – für Stars aus Hollywood
«Halbfabrikate» nennt der Textildesigner seine Stoffe, die erst zum Kleid eines Modemachers und dann zu einem medial transportierten Traum werden – etwa am Körper von Nicole Kidman, die bei der Eröffnung des Filmfestivals von Cannes ein Diorkleid aus Schlaepfer-Stoff trägt. Und tausendfach fotografiert wird.
Er mache keine Kunst, erklärt Leuthold dezidiert. Erst durch die Verarbeitung würden seine Stoffe zeigen, welches Potential in ihnen steckt. «Wenn die Stoffkreationen an die Modemacher verkauft sind, dann werden sie zu Chanel oder Dior.» Aber die Herkunft aus der Ostschweiz, da ist sich Martin Leuthold sicher, sehe man seinen Stoffen an. Die lange Textiltradition der Region schwingt mit. Etwa wenn traditionelle St. Galler Spitzen in einen neu entwickelten Hightech-Stoff graviert werden.
Kein Paradiesvogel
Martin Leuthold ist kein Paradiesvogel. In schlichten Stoffhosen und einem gestreiften Hemd erklärt der Textildesigner seine Arbeit. Er greift nach Stoffmustern, erläutert Techniken. Und behauptet ohne weitere Umstände: «Ideen sind einfach. Spannender ist die eigentliche Hauptarbeit, die Umsetzung.»
Und so werden bei Jakob Schlaepfer Laserschnitttechniken oder innovative Druckverfahren entwickelt, Stoffe beschichtet oder graviert. Oder experimentell geschrumpft durch zu heisses Waschen. Doch das textile Labor in St. Gallen macht keine Grundlagenforschung. Martin Leuthold orientiert sich am Markt, die aufwendigen Produktionstechniken müssen sich rechnen. Und das «Habenwollen» ist Treibstoff und Krux zugleich.
Marktmechanismen des Luxus
Innovative Textilien wecken Sehnsüchte. Konkurrenten erfinden Techniken, die diese Sehnsüchte befriedigen – und zuvor luxuriöse Stoffe erschwinglich machen. So geschehen bei den Pailletten oder bei den traditionellen Stickereien, die unterdessen in China oder Indien für einen Massenmarkt produziert werden. Wer weiterhin teure «Highend»-Produkte fürs Luxussegment entwerfen und damit überleben will, darf nicht stehen bleiben. Innovation ist Pflicht. Damit jede Saison neue Sehnsuchtsstoffe entstehen, die die Konkurrenz noch nicht billig anbietet.
Martin Leuthold hat so etwa die Paillettenstickerei weiter entwickelt. Seine Paillettenstoffe lassen sich «umdrehen»: wer in Gegenrichtung mit dem Finger über die Schuppen streicht, hinterlässt eine Spur, die Pailletten zeigen plötzlich ihre andere Seite. Und die ist in einer anderen Farbe gehalten.
Zauberei als Handwerk
Nach vierzig Jahren Arbeit für die Firma Jakob Schlaepfer wird Martin Leuthold nun mit dem «Grand Prix Design» für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Geehrt sei er und sehr überrascht, sagt der Textildesigner. Und macht weiter. Demonstriert eine textile Neuentwicklung nach der anderen. Zum Beispiel hauchdünne Stoffe, deren opulenter Blumendruck je nach Lichteinfall einfach verschwindet. Da versteht einer sein Handwerk auch als Zauberei.