Howard Street, New York City: Hier, zwischen den Stadtvierteln Soho, Little Italy und Chinatown, residierten Christo und Jeanne-Claude gemeinsam in einem alten Fabrikgebäude. Seit dem Tod seiner Frau 2009 lebt Christo an diesem Ort allein. «Mit Jeanne-Claude gab es eine permanente kritische Auseinandersetzung. Die vermisse ich am Stärksten», sagt der Witwer, der am 13. Juni seinen 80. Geburtstag feiert.
Öffentlichkeitswirksam erprobte der in Bulgarien geborene Verpackungskünstler 1962 in Paris seine besondere Form der lebenden Landschaften: Mit einer Mauer aus Ölfässern blockierte er die Rue Visconti («The Iron Curtain»). 1969 verhüllten Christo und Jeanne-Claude einen Küstenabschnitt in der Nähe von Sydney («Wrapped Coast»).
In Kalifornien liessen sie 1976 einen 40 Kilometer langen Nylonzaun quer durch die Landschaft ziehen und ins Meer stürzen («Laufender Zaun»). Vor der Küste Miamis umkränzte das Künstlerpaar 1983 künstlich geschaffene Mini-Inseln mit rosafarbenen Plastikplanen («Surrounded Islands»). Die Pont Neuf in Paris 1985, der Berliner Reichstag 1995, «Wrapped Trees» 1998 in Riehen, «The Gates» im New Yorker Central Park 2007 waren die nächsten Stationen.
Nervenzentrum in New York
Innerhalb des fünfstöckigen Gebäudes arbeitet Christo. «Unser Haus ist das Nervenzentrum für unsere Projekte», Christo lächelt und spricht nach Jeanne-Claudes Tod weiterhin von «wir».
Drei Assistenten helfen ihm. «Einer kümmert sich um die Banken und das Bezahlen von Rechnungen. Der Zweite beschäftigt sich mit den Dingen, die mit der Kunst zu tun haben». Und Christos Neffe Vladimir macht alles, was an Praktischem anfällt – zum Beispiel Autofahren («Ich habe keinen Führerschein!») oder das Einrichten von Skype-Verbindungen («Ich verstehe überhaupt nichts von Computern!»).
Als Kreativduo gehorchten Christo und Jeanne-Claude den Gesetzen des Kunstmarktes: Die Werke signierte Christo jeweils allein. Ansonsten traten die beiden gleichberechtigt auf. Zusammen firmierten sie seit 1994 unter der Marke «Christo und Jeanne-Claude». Die Öffentlichkeit hatte trotzdem in erster Linie Christo im Blick.
No religion!
Gestenreich und einnehmend spricht Christo über die Verstorbene. So verrät er zum Beispiel, dass seine Frau ihren Leichnam der Forschung zur Verfügung gestellt hat: «Wir sind überhaupt keine Anhänger irgendeiner Religion.» Zufall oder himmlische Fügung? Beide kamen am 13. Juni 1935 zur Welt. Christo Vladimirov Javacheff in Bulgarien, Jeanne-Claude Marie Denat in Casablanca.
Noch immer gibt es Ideen und Pläne, die darauf warten, realisiert zu werden. Wie «Mastaba»: eine Pyramide aus 410.000 farbig lackierten Ölfässern in den Vereinigten Arabischen Emiraten und von den Dimensionen grösser als die berühmte Cheops-Pyramide. In Abu Dhabi – also mitten in der Wüste – sollen sie gestapelt werden. Wird es wirklich realisiert, wäre es das erste Projekt, das mit Hilfe von Sponsoren zustande käme. Denn bislang waren Christo und Jeanne-Claude gemeinsam mit vollem Risiko als Unternehmer in eigener Sache tätig. Alles wurde von ihnen selbst finanziert. Staatliche Zuschüsse oder Sponsorengelder: Fehlanzeige!
Schwebendes Flussdach, fliessende Stege
Seit 1992 laufen die Vorbereitungen für « Over the River » . An Stahlseilen befestigt, will Christo Hunderte von Stoffpaneele horizontal frei schwebend hoch über die Wasseroberfläche spannen. Sie werden dem Lauf des Arkansas im US-Bundesstaat Colorado folgen und zwar so, dass der Fluss weiterhin ganz normal befahren werden kann. Noch ist allerdings unklar, ob es Christo ohne Jeanne-Claude gelingen wird, ein so aufwendiges Projekt zu verwirklichen.
Christos Website
Im Juni 2016 folgt zunächst ein kleiner, überschaubarer Kunst-Event: Christo plant Stege aus gelb schimmerndem Stoff über den Iseo-See in Norditalien zu legen. Wie weiland Jesus sollen Kunstinteressierte dank der Installation übers Wasser wandeln können.
Ihre Projekte polarisieren bis heute: Für ihre schärfsten Kritiker sind Christo und Jeanne-Claude Scharlatane, für ihre treuen Fans gehören sie zu den bedeutendsten Gegenwartskünstlern unserer Zeit.